Bad Hair Years
ganzen Abend darauf, vor Langeweile nicht zu schielen, Gedanken wie »was sind das denn für Schuhe« wegzuschieben und den Kopf vor lauter Frust nicht mehrmals auf die Tischplatte knallen zu lassen. Auf der Straße weicht man ungeschickt einem Abschiedskuss aus, sagt artig »I had a nice time« und klebt sich in Gedanken ein Post-it mit »E-mail Adresse ändern!!« an die Stirn. Kann das Liebe sein?
Das klingt unfair, ist es aber nicht. Erwiesenermaßen bin ich in solchen Situationen nicht besser, im Gegenteil. Gefällt mir jemand, schaffe ich es, schüchtern daherzukommen. Smalltalk ist schwieriger als Suaheli, ich plapper dann drei Stunden übers Wetter. Alles in allem werde ich so nervös, dass ich drei Gläser Wein in einer Stunde trinke, ohne etwas gegessen zu haben, versteht sich. Ich habe ja keinen Hunger. Also, Hunger hab ich schon, aber am Ende tropft mir Spaghettisoße aufs Kleidchen, da ist Weißwein deutlich ungefährlicher. Der arme Kerl sitzt dann da und denkt sich »Na sauber, wenn die immer so säuft.«
Warum dermaßen Nervenaufreibendes in Kauf nehmen, warum also so viel Zeit verschwenden, die sich sicher besser und angenehmer verbringen lässt? Möchte ich fragen, aber das beantwortet sich sofort von selbst mit »damit einem mal wieder jemand morgens im Weg rumsteht und samstags auf den Flohmarkt will«. Dagegen habe ich kein Argument, trotzdem kommt mir das Ganze vor wie beim Autokauf. Haben Sie was mit mehr PS? ABS? Allrad ist wichtig, was, wenn es plötzlich steinig wird? Und, haha, kann ich den mal probefahren? Wie schnell ist der denn so von null auf hundertachtzig?
Aber gut, angenommen, man hat das alles anstandslos hinter sich gebracht, angenommen, es hat ein bisschen gefunkt, der Bauch ein bisschen geschmetterlingt. Danach kommen noch ein paar Dinner, ein paar Movies, ein paar Drinks, und dann kommt man irgendwann selbst. So far so good, möchte man meinen, geht davon aus, dass man the one and only ist, zumindest im Bett, vergisst dabei aber, dass man sich in Amerika befindet. Und in Amerika – oder nur in New York, das weiß ich jetzt nicht so genau – gibt es »Exclusive Dating«. Hier gehört der Sex nach dem vierten Date genauso zum Protokoll wie die Drinks und der Kinobesuch. Und zwar mit jedem Date, so man das will, was sich addiert, wenn man sich mal anschaut, wie hier durch die Gegend gedated wird. Da muss man sich jetzt auch gar nicht die Augen ausheulen, weil der da noch mit anderen Frauen, hat er ja nie gesagt, dass er nicht. Dazu müsste erst der Zaubersatz fallen, und in dem muss das Wort »exclusive« vorkommen. Das muss also erst gesagt werden, dass man da nebenher keine andere, äh, trifft, sonst gilt es nicht. Nänänänääää möchte ich fast anfügen, und in Ehrfurcht niederknien. Das haben die sich schlau ausgedacht, die Jungs, was? Erzähle mir keiner, darauf sei eine Frau gekommen. Andererseits geht es in Deutschland wahrscheinlich genauso zu, es wird halt nur nicht darüber geredet. Frühling, Schmühling. Soll er doch sein blaues Band flattern lassen, von mir aus.
»Alles neu macht der Mai.«
»Seit wann?«
»Wir sollten auch mal wieder was Neues machen. Mir ist fad.«
»Wir könnten umziehen.«
»Genau! Bin ich froh, dass du das auch denkst. Ich freu mich schon! Ich freu mich schon so auf eine Butterbrezn!«
»Hä?«
»Und Biergarten!«
»WTF?«
»Und die Isar!«
»Ich rede von Brooklyn, du Depp!«
»Aber ich will nach Hause!«
»Kommt überhaupt nicht in Frage.«
»Aber ich will zur Mama!«
Should I stay or should I go
Ich kenne viele, die New York wieder verlassen haben. Nach zwei Jahren, nach fünf Jahren, manche sogar nach zehn Jahren. Generell gilt: je länger, desto Zweifel, und ich kenne niemanden, den diese Entscheidung nicht fast um den Verstand gebracht hat. Hingehen ist einfach. Weggehen ist schwer. Denn was – oder vielmehr wo – soll danach noch kommen? Ich darf kurz Sex and the City bemühen und zitiere Samantha: »I always wonder why people leave New York City. I mean, where do they go?« Miranda: »The real world?«
Ganz genau. New York ist ein Planet für sich, und alle anderen Klischees stimmen übrigens auch, das ist ja das Schlimme. Etwas anderes als München, also nach Hause, kam für mich nicht in Frage, sonst hätte ich ja auch in New York bleiben können. Für einen entspannten »Wherever I lay my hat, that’s my home«-Lifestyle bin ich zu unentspannt, ich muss mich schon sehr wohlfühlen, um meine Mütze irgendwo
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