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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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den man sich nicht leisten kann, er ist ein potentiell tödlicher Virus.«
    Der Mond war nah. Die Astronomie zählte durch Sphären und Schatten die Sekunden bis zur Ermordung meines Sohnes. All die Zeit – riesige Eisberge davon – seit seiner Entführung, und nun waren wir hier beim letzten schmelzenden Klumpen angekommen, kaum groß genug, um darauf zu stehen. ›Der Tod eines geliebten Menschen lässt alles brutal lebendig erscheinen‹, hatte Jake geschrieben; hier war mein krankmachender Ausblick auf diese Wahrheit, das gewalttätige Noch-Immer-Hiersein, die mir die Welt durch all die Autos und Automaten, Wetter und Fernsehwerbespots auferlegte, auch durch meinen hartnäckigen Körper, der die Nägel geschnitten brauchte, die Blase entleert, das Jucken gekratzt. Die Welt verriet die Toten, indem sie einfach ohne sie weitermachte, und man selber, voll von schändlich zuverlässigem Leben, machte einfach mit.
    »Doch nun sind wir nicht mehr in jener Einrichtung«, warf Murdoch ein. Der Klang seiner eigenen Stimme faszinierte ihn, denn ganz gleich, was er sagte, sie hallte nur durch die ungeheure mathematische Stille. Er lächelte nicht, verzog nicht kinohaft den Mund. Er machte nur kehrt und verschwand in der Dunkelheit jenseits der Sturmlaternen. Am leichten Federn seiner Schritte konnte ich erkennen, dass der Container noch auf dem Auflieger stand. Wo? Wie weit weg von den Schülern? Wusste er überhaupt, dass sie hier waren? Das musste er wohl, sonst wäre das ein zu großer Zufall. Aber wenn er hier war, wer dann noch? Wiedergutmachung. Ich verstand. Er war degradiert oder rausgeschmissen worden. Er war für unsere Flucht verantwortlich. Unsere erneute Gefangennahme war seine einzige Chance, wieder aufgenommen zu werden. »Herr Direktor, zu Ihrer Verfügung, Subjekt A, Talulla Demetriou, entflohene Werwölfin, Nymphomanin, abwesende Mutter –«
    Ein Krampf krümmte mich, riss mir an gefesseltem Hand- und Fußgelenk. Jemand war hier drin umgebracht worden. Nicht kürzlich, aber die erwachende Nase der Wölfin ließ sich nicht täuschen. Der Mond zog an meinem Blut. Näher, als ich dachte. Noch zwei Stunden vielleicht. Es war nicht möglich, durch die Mauer des künstlichen Lichts hindurchzusehen, aber ein Luftzug, der nach trockenem Gras und Kiefernharz roch, verriet, dass der Container offen stand. Es konnte sowieso nicht schlimmer werden, also schrie ich um Hilfe, so laut ich konnte.
    Murdoch sprang wieder in den Container, sagte aber gar nicht erst, dass ich mir das Geschrei sparen könne, wir seien meilenweit von jeder Behausung. Für ihn war es befriedigender, dies durch sein Schweigen deutlich zu machen.
    Er war nicht allein. Neben ihm stand ein fade wirkender, kräftig gebauter Kerl, Mitte vierzig, in schwarzer Lederjacke, ausgebeulter Khakikampfhose und Netzhemd. In seiner Brustbehaarung blinkte ein Christophorusmedaillon. Er hatte volle Lippen, konnte eine Rasur gebrauchen, dazu große, feuchte, schwerlidrige trockenpflaumenfarbene Augen. Er sagte kein Wort, sah mich nur in einer Art Hoffnungslosigkeit an, die mir alles raubte, nur nicht die Gewissheit dessen, was geschehen würde. Ich hatte mich gewundert, warum ich zwei Gliedmaßen bewegen konnte. Nun wusste ich es. Aus dem gleichen Grund, warum sie Caleb die Blutkonserven gegeben hatten, bevor sie ihn in den Käfig sperrten: Größtmögliches Spektakel. Murdoch wollte nicht, dass ich machtlos war, er wollte, dass ich überwältigt wurde und gerade noch genug Willen hatte, um wirklich zu spüren, dass er nicht reichte.
    Während Netzhemd die Jacke auszog und seinen Hosenschlitz öffnete, dachte ich an all die Male zurück, die ich von Vergewaltigungen gehört oder gelesen hatte. Ich entschied auf der Stelle, mich nicht zu wehren. Manche Vergewaltiger mochten das. Ich beschloss, mich dem Mistkerl mit allem zu widersetzen, was ich nur hatte. Manche Vergewaltiger mochten das. Ich kämpfte erst gegen ihn an, konnte ihn aber letztlich nicht aufhalten. Viele Vergewaltiger mochten das. Es gab keine Art von Vergewaltigung, für die es nicht einen Täter gab. Ich war noch nie vergewaltigt worden. Angesichts dieser Drohung spürte ich das geisterhafte Gewicht aller vergewaltigten Frauen auf mir, Reihen um Reihen, bis hinunter zu den ersten traurig herumspringenden weiblichen Hominiden. Eine unfassbar große Zahl, eine jammervolle Schwesternschaft, die erst dann wahrhaft erkennbar wurde, wenn man sich ihnen anschließen musste. Gleichzeitig herrschte

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