Bad Moon Rising
nicht, dass du alles tun musst. Das ist kein Todesurteil, Lulu. Das ist lebenslänglich. Sorry, Engel. Entweder gehst du einfach weg oder du versuchst es.«
»Das ist doch Wahnsinn«, sagte Cloquet. Der Regen nahm ein paar Sekunden zu, dann ließ er wieder nach.
Ohne Zoë hätte ich vielleicht einfach gehen können. Ohne sie hätte ich vielleicht den Verlust verwinden, ihn ausbrennen können, hätte eine neue, deformierte Version meiner selbst schaffen können, um damit umzugehen: die Unfähige Mutter. Aber sie war da. Sie war die Versicherungspolice ihres Bruders.
Sie haben deinen Sohn . Mir wurde ganz übel, an ihn als Person zu denken. Ein Schwindel des Herzens. Ich musste an ihn als einen Gegenstand denken. Ein verlorener Koffer, den ich zurückhaben musste. Es war eine Erleichterung, ganz plötzlich auf einen einzigen Zweck reduziert zu werden. Nichts anderes zählt, sagen wir, wenn wir uns verlieben. Ich wusste, es war hoffnungslos. Ich wusste, ich suchte mir nur einen Weg zum eigenen Tod. Egal. Es war genauso befreiend, wie einfach wegzugehen.
Zoës Bruder war nicht länger »er« oder »es«. Cloquet wies mich darauf hin, dass wir weit und schnell reisen mussten, wenn und falls wir ihn fanden; es würde nichts bringen, erneut auf Papiere zu warten. Er hatte recht, aber das machte den besonderen Schmerz nicht leichter, ihm einen Namen geben zu müssen. Es kam mir vor, als würde ich etwas beanspruchen, das mir nicht zustand.
Meine Mutter hatte zwei Jahre nach meiner Geburt eine Fehlgeburt erlitten. Es war ein Junge gewesen. Später hatte sie mir erzählt, dass sie ihn Lorcan hatten nennen wollen. Also nannte ich meinen Sohn aus klinischer Perversität heraus auch so, es hing ja bereits der Tod daran. Ich hatte Kovatch angerufen, bevor wir Anchorage verließen, und die Geburtsurkunde (und die Falschnamen, die zu denen seiner Schwester passten) waren an diesem Vormittag eingetroffen. Den Namen gedruckt zu sehen brachte mich für einen Augenblick durcheinander, so als hätte ich nicht schon gewusst, dass der Gott, der nicht da war, diese Herausforderungen nicht ernst nahm. Ich packte die Dokumente beiseite und sagte mir, ich würde diesen Namen nicht benutzen, nicht mal im Kopf. Aber natürlich war das bereits unmöglich. Er gehörte zu der Vorstellung von ihm, und jedes Mal, wenn ich nun an ihn dachte, dachte ich auch an den Namen, Lorcan , eine Art Anrufung des Todes, doch zu kommen und seinen Besitz einzufordern.
Ich hatte ein Testament gemacht; darin vermachte ich meinem Dad mehr Geld, als er ausgeben konnte, Cloquet genug für den Rest seiner Tage, der vielseitigen Alison eines der Restaurants, Lauren, die ihr Leben in ein Chaos verwandelt hatte, eine Million Dollar, Richard einen Dollar – und den ganzen Rest den Zwillingen, in Form einer Stiftung, die mein Vater oder eine von ihm bestellte Person führen sollte, bis sie volljährig waren. Es war hilfreich, das getan zu haben und zu wissen, dass ich zumindest materiell kein Durcheinander zurückließ. In gewisser Hinsicht nahm mir das ein wenig die Angst vor dem Tod.
Auf der anderen Straßenseite stand ein schwarzer Landrover. Darin saßen Draper und Khan in Polizeiuniformen, zwei Burschen, die mir Charlie Proctor bei Aegis Private Security geschickt hatte. Charlie stand ebenfalls auf Jakes Liste der Vertrauenspersonen. Draper war ein blonder Schotte mit leiser Stimme, der eine Art hatte sich zu bewegen, die nie übereilt wirkte, und einen Kern an Sanftheit, der von der Gewalt in seinem Leben nicht berührt worden zu sein schien. Khan war ein britischer Pakistani der dritten Generation, mit schnellen schwarzen Augen und einem schmalen, cleveren Mund, oberflächlicher als sein Kollege und glücklicher damit, Befehle zu erteilen, als sie auszuführen. Am Vortag hatten sie das Haus ausspioniert. (Zwei Überwachungskameras vorn am Haus, drei hinten. Zwei Schlägertypen. Eine Haushälterin. Eine Siamkatze.) Es war ihre Aufgabe, Cloquet ins Haus zu bringen und Merryn für eine Befragung festzuhalten. Sie wussten nicht, wer ich war. Was sie betraf, war ich einfach nur eine Klientin, die sich die Dienste ihres Auftraggebers leisten konnte. Der erste Augenkontakt hatte verraten, Sex ja – dann hatte ihre Professionalität damit aufgeräumt. Sie waren durchaus stolz darauf, dass dieses System funktionierte und sie vor allem Söldner waren. Ich beneidete sie darum: meine Libido schlief noch, aber seit das zweite Kind meinen Körper verlassen hatte, wusste
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