Bad Moon Rising
ihr leben.« Er hielt inne. Sprechen, vielleicht auch das, worüber er sprach, kostete ihn Kraft. Der Blutkreislauf in seinem Körper hatte sich wieder verdunkelt. Er war nass vor rosiggrauem Schweiß. Er schluckte, eine Anstrengung, als würde er sich über etwas hinwegmühen. »Sie hat nicht gelogen«, nahm er den Faden wieder auf. »In einem Film würde sie lügen. In einem Film würde ein elfjähriger Junge nicht wirklich verstehen, was ihm da angeboten wurde. In einem Film wäre sie verschlagen, böse, alles nur für die beschissene Kamera oder so was. Sie war überhaupt nicht so. Sie sagte –« wieder schluckte er zerstoßenes Glas –, »sie sagte, sie könne keine Kinder bekommen wie eine normale Frau. Ich verstand. Hinterher will man sich einreden, dass man nicht wirklich verstanden hat, dabei hat man es doch verstanden. Sie hat nie ›Vampir‹ gesagt, aber es fand sich in allem, was sie sagte. Ich könne bei ihr leben und würde niemals krank werden. Ich wusste, es stimmte. Ich kann es nicht erklären …« Er musste eine kurze Pause einlegen. Der letzte Tropfen Blut war aufgebraucht. Ein paar Sekunden lang wurde er von Krämpfen geschüttelt. Sein Gestank nahm zu, griff mich wieder an. »Ich kann nicht sagen, woher ich es wusste. Es schien irgendwie völlig klar. Ich fragte sie, ob es weh tun würde. Sie –« der Krampf setzte ihn fast aufrecht –, »sie hat auch da nicht gelogen. Sie meinte, es würde erst wehtun, aber nur für ein paar Sekunden. Dann würde es sich anfühlen, als würde man eindösen.«
Ich wollte natürlich den Rest der Geschichte hören, aber ich wollte auch zu dem Abschnitt über Mia in Jakes Tagebuch blättern. Sie hatte dieses Kind verwandelt. Jake hatte sie in Brand gesteckt. Ich war Jakes Geliebte gewesen. Und jetzt war ich hier eingesperrt mit Mias Kind. Verbindungen. Leben mit einer Story. ›Was wird schwerer für die Menschheit?‹, hatte Jake geschrieben. ›Der Übergang von einem Universum voller Bedeutungen zu einem bedeutungslosen – oder umgekehrt? Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten, die wir uns bis in alle Ewigkeiten hin und her reichen …‹
»Es hat weh getan«, fuhr Caleb fort. »Sehr. Aber wie sie sagte, nur für ein paar Sekunden. Dann war es wie ein Versinken in Dunkelheit und Wärme. Sie sagte zu mir, ich solle mir vorstellen, dass ich ein Seil ums Handgelenk hätte, und ganz gleich, wie tief ich sinken würde, wäre ich immer noch mit der Oberfläche verbunden. Und wenn es am Seil zupfen würde, müsse ich anfangen zu klettern, ganz gleich … ganz gleich, wie müde ich sei.«
Und genau das tat er, nachdem die ersten Tropfen ihres Blutes seine Lippen berührt hatten.
»Am Anfang ist es richtig schwer. So als ob man keine Knochen und Muskeln mehr hat. Dann wird es leichter. Dann ganz leicht. Dann die reine Freude. Das ist kein … Klettern mehr. Eher so, als ob … als ob man von einer Kraft nach oben gedrückt wird … von unten …«
Caleb konnte eine Weile nicht sprechen. Wieder dachte ich an die einundzwanzig, wahrscheinlich schon zweiundzwanzig Tage hier ganz allein unter der Erde, bei diesen Qualen. Wie mein Sohn, ganz gleich, wo er war – doch kaum hatte ich diesen Gedanken, sagte ich mir, dass es keinen Sinn hatte, ihn zu foltern. Die konnten doch nicht riskieren, dass irgendetwas mit ihm schiefging. Sie würden ihn für die Opferung bei Gesundheit halten wollen. Das redete ich mir ein, während mein sarkastisches Ich sagte: »Ja, ja, was immer du hören willst, Schätzchen.«
»Sie meinte zu mir, sie würde später meine Hilfe brauchen«, fuhr Caleb fort. »Sie sagte, ich wäre stark und sie schwach. Ich sah das Ganze wie einen Film vor mir, was sie sagte, wie es wäre. Ich brachte sie in das Zimmer neben das meine. Da war ein Junge … ich weiß noch, ich dachte … In der Schule – oh, Scheiße –«
»Schon okay«, beruhigte ich ihn. »Ruh dich aus. Wir reden später weiter.« Aber er wollte es. Ich erinnerte mich an die Erleichterung, als ich Jake von der Nacht berichten konnte, als ich in der Wüste angegriffen wurde, und von meinem ersten Mord. Man kann nicht leben, ohne zu akzeptieren, was man ist, und man kann nicht akzeptieren, was man ist, wenn man nicht sagen kann, was man tut. Die Kraft der Namensgebung, alt wie Adam.
»In der Schule«, versuchte Caleb erneut, »bevor ich krank wurde, hatten alle angefangen, sich gegenseitig Knutschflecken zu machen. Das ging … rum. Mit einem Knutschfleck … war man
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