Bad Moon Rising
cool.«
»Oh, mein Gott«, entfuhr es mir.
»Was denn?«
Ich hätte lachen können. Beinahe hätte ich Murdoch nicht um das Tagebuch gebeten.
Hatte ich aber. Und er hatte es mir gegeben. »Lies weiter, Lula«, hatte Jake gesagt. Das hatte ich getan. Ich musste an Laurens Gesicht denken, als Mrs Maguire im Englischunterricht gesagt hatte, wenn ein Buch es nicht wert ist, zweimal gelesen zu werden, dann ist es nicht wert, einmal gelesen zu werden. Lauren hatte gewartet, bis sie uns den Rücken zugekehrt hatte, und dann gesagt: »Ja, genau dasselbe wie mit Jungs und vögeln, aber leider gibt es nur eine Möglichkeit, das herauszufinden.«
»Schon gut«, sagte ich. »Das erkläre ich dir später.«
»Jetzt. Was ist?«
Vor wie vielen Tagen hatten sie mich hergebracht? Höchstens zwei. Soll heißen, höchstens noch fünfzehn oder sechzehn Tage bis Vollmond. Zwei Wochen, vielleicht etwas mehr. Wir hatten eine Menge Arbeit vor uns. Gott war tot, aber die Ironie noch immer quicklebendig.
»Ich glaube, ich weiß, wie wir hier herauskommen«, erklärte ich.
40
»Forschung«, das waren drei unnahbare Männer in Laborkitteln, zwei davon (in Gehorsam gegenüber dem Gott der Stereotype) Mitte sechzig, bebrillt und kahlköpfig, doch der dritte sah aus wie der junge Clint Eastwood – oder eher, wenn man seine polierte Haut sah, wie die Wachsfigur des jungen Clint Eastwood. Nicht gut. Er besaß eine strahlende, stete, undurchdringliche Besessenheit, wobei undurchdringlich das Schlüsselwort war. Alter und niedriger ästhetischer Standard der Eierköpfe schloss diese schon mal aus. Selbst wenn man meine Vorlieben außer Acht ließ, gab es eine offensichtliche Lücke in der Glaubwürdigkeit: Sie müssten schon Narzissten sein oder ungeheuer dumm, um nicht zu merken, dass etwas im Schwange war. Wenn das, was ich vorhatte, funktionieren sollte, dann würde das ohne die Männer in Weiß gehen müssen.
Zum Glück gab es Wachen.
»Ich sehe keine Kameras im Flur. Ist das richtig?«
Es war Tag drei meines Umzugs in die Laborräume. (Noch) keine Amputationen, aber sie hatten mir Schweinegrippe, Hepatitis C, HIV und TB verpasst, die mein Immunsystem samt und sonders mit einer trägen Handbewegung verscheucht hatte. Endlose Blut- und Urintests; kein Stuhl (Gott sei Dank), da Wolf alles von sich gab, was man ihm zwangsweise einflößte, doch das Erbrochene packten sie ein und trugen es mit geradezu religiöser Inbrunst davon. Zu meiner großen Erleichterung gaben sie mir eine batteriebetriebene Milchpumpe. Nicht aus Mitgefühl, sondern weil sie die Milch analysieren wollten. Der Milchfluss ließ langsam nach. Am dritten Tag gab es nur noch ein paar Löffelvoll. Menschlich nicht normal, aber wir alle kennen ja die Antwort darauf. Ich hatte nicht mehr in den Spiegel geschaut, seit ich das Dorchester verlassen hatte, aber ich wusste, dass der letzte Rest des Geburtsübergewichts fast verschwunden war. Ein Weltrekord, nahm ich an, noch so ein willkürlicher, überflüssiger Vorteil des Fluchs – und ein Zustand, von dem mein Plan abhing, wie ich (aus Eitelkeit oder Uneinsichtigkeit) nicht erkannt hatte.
Mein neues Zimmer war zwar keineswegs die minimalistisch luxuriöse Ein-Zimmer-Wohnung in Poulsoms weißem Gefängnis (kein Fernseher, kein eigenes Bad, keine Toilettenartikel von Harrods, kein Bademantel), aber immerhin eine Verbesserung. Dieselben fensterlosen Betonwände, aber der Boden war mit blauen Turnmatten belegt, die angenehm an Highschool erinnerten; ein Kissen, eine Wolldecke und eine ausgeklügelte kleine Campingtoilette, die nach neuem Plastik und Chlor roch. Meine Kleidung war konfisziert und durch einen steifen weißen Krankenhauskittel ersetzt worden (das Buch durfte ich allerdings behalten). Fesseln hingen ganz von den Wachen ab. Es gab eine einzelne Fußfessel, die an einem Stahlkabel an die Wand genietet war, damit konnte ich mein kleines Quadrat ablaufen, es gab die Handgelenk-Fuß-Fessel oder für die Übervorsichtigen beides. All dies war hinter einer Stahltür mit Futterluke verankert und einem Guckfenster, das ein Beobachter hätte auf- und zuschieben können, tatsächlich aber permanent offen stand. Jenseits der Zellentür lag ein Gang – ohne Kameras, wie es schien – mit drei weiteren (leeren) Zellen und einer gekachelten Einbaudusche am anderen Ende, wo ich mich waschen konnte (und mir die Zähne putzen – welche Freude!), wenn mein Pensum erledigt war. Vom Gang aus führte eine weitere Tür in
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