Bär, Otter und der Junge (German Edition)

Fingern fliegt. Ich schiebe mich an ihm vorbei. Jetzt lächelt er nicht mehr. Arschloch.
    Die Musik donnert, als ich den Flur entlang renne und die Blicke ignoriere, den Schmerz in meiner Hand ignoriere. Ich höre, wie mein Name gerufen wird. Ich höre, wie Leute mir nachrennen. Ich falle beinahe die Stufen hinunter, stoße Partygäste rechts und links aus dem Weg. Der Drink von irgendjemandem fliegt durch die Gegend. Die Leute müssen den Ausdruck auf meinem Gesicht sehen, müssen die Gefolgschaft sehen, die hinter mir her rast, denn sie machen Platz, und ich bin Moses, der das Meer teilt und sie alle machen mir verflucht nochmal Platz. Ich bin wieder im Vorgarten. Mein Wagen läuft noch, die Scheinwerfer sind noch an. Ich steige ein, aber natürlich zeigt die Vorderseite des Autos zum Eingang, aus dem Leute strömen. Otter, Anna und Creed vorneweg. . Ich sehe Jonahs Blut auf Otters Shirt. Ich frage mich, ob Otter ihn umarmt hat. Hat er ihm gesagt, dass alles gut werden würde? Waren das seine Worte gewesen?
    Sie alle rufen, aber das spielt keine Rolle. Ich lege den Rückwärtsgang ein und holpere wieder über den Bordstein. Wie durch ein Wunder fahre ich nichts und niemanden um. Ich blicke auf und sehe Otter, der schnell auf mich zu kommt, also trete ich das Gaspedal durch und sehe zu, dass ich verdammt nochmal verschwinde.
    Aber ich kann nicht widerstehen: Ich blicke in den Rückspiegel und sehe Otter, der mir nachrennt, die dunkle Straße entlang sprintet.
    Ich fahre schneller.

    M INUTEN später vibriert mein Telefon. Ein entgangener Anruf von Creed. Ich habe eine neue und eine gespeicherte Nachricht. Creeds Nachricht ist von kurz vor der Party . „Hey, Alter, mach locker wenn du rüberkommst. Anna findet, dass ich übertrieben habe. Abgesehen davon glaube ich, dass einer seiner Freunde gekommen ist. Keine Ahnung wer. Ich hab ihm gesagt, wo Otters Zimmer ist, aber dass er hinmachen soll, weil du unterwegs wärst, und dass es wichtig ist, dass du so schnell wie möglich mit ihm redest. Wenn wir uns nicht sehen: Du weißt, dass ich in der Nähe bin. Immer.“

    D IE zweite Nachricht ist eine, die ich schon vor Wochen gespeichert habe. Es ist Otter und er sagte einfach: „Ich liebe Dich.“

    I CH PARKE irgendwo, keine Ahnung wo. Ich hole mein Handy hervor und rufe Mrs. Paquinn an. Sie haben sie noch nicht erreicht.
    „Wie ist es gelaufen, mein Lieber?“, fragt sie aufgeregt.
    „Prima“, sage ich gespielt fröhlich. Zu fröhlich, aber sie bemerkt es nicht. „Ist der Junge okay?“
    „Alles bestens. Schläft noch. Ist nicht aufgewacht, seit du weg bist.“
    „Ich weiß nicht, ob ich es heute noch nach Hause schaffe“, sage ich ruhig. „Ist es okay, wenn Tyson heute Nacht bei Ihnen bleibt? Ich werde früh zurück sein. Hoffentlich bevor er aufwacht.“
    Sie lacht. „Natürlich. Wenn er früher aufwacht, sag ich ihm wo du bist und lass ihn dich anrufen.“
    „Danke“, antworte ich mit zittriger Stimme.
    Sie hört es. „Bär, ist alles okay??“
    „Alles bestens.“ Ich höre, wie es in ihrem Telefon klickt.
    „Bär, da kommt noch ein Anruf rein, keine Ahnung, wer das um diese Uhrzeit sein soll. Viel Spaß noch, okay? Pass auf dich auf und viele Grüße an Otter.“
    Ich nicke, traue mir nicht zu, zu sprechen. Ich lege auf und lasse die Wellen über mir zusammenschlagen.

    A UGENBLICKE später sehe ich auf. Ich höre den Ozean und das nicht nur in meinem Kopf. Ich steige aus dem Wagen und stöhne leise auf, als ich in meiner unendlichen Weisheit, unter dem Stress eines Nervenzusammenbruchs bemerke, dass ich zum Strand gefahren bin. Unserem Strand. Dem Strand, an dem ich Otter zur ersten Mal gesagt habe, dass ich ihn liebe. Es ist schon nach Mitternacht, niemand ist da. Ich bin allein. Ich kann sonst nirgendwo hingehen, darum schätze ich, dass es keine Rolle spielt.
    Ich ziehe meine Schuhe aus und laufe auf dem Sand, fühle, wie er sich unter meinen Füßen teilt, sich bewegt. Es herrscht Flut und ich sehe, dass die Stelle, an der ich meinen kleinen Tisch mit meiner Überraschung für Otter aufgestellt hatte, komplett unter Wasser liegt. Das kühle Wasser umspült meine Füße und ich setze mich in den Sand, spüre das Salz an meinen Knöcheln.
    Mein Telefon klingelt. Otter. Abweisen.
    Mein Telefon klingelt. Creed. Abweisen.
    Mein Telefon klingelt. Anna. Abweisen.
    Mrs. Paquinn. Otter. Otter. Creed. Anna. Otter. Es klingelt wieder und wieder.
    Ich will es ausschalten, aber ich kann nicht. Tyson könnte