Bär, Otter und der Junge (German Edition)
aufzupassen. Ich denke nicht, dass es allzu gut rüberkommen würde, also sage ich ihr, dass ich es nicht weiß.
Sie fragt nach Creed und ich frage sie nach ihrer Mom. Beiden geht’s gut. Sie erzählt mir, dass sie ihre Noten bekommen hat und dass es gut für sie läuft. Ich erzähle ihr, dass ich Essen in die Übernachtungstasche des Jungen gepackt habe. Sie sagt, dass sie gestern Abend mit ein paar Freunden zu einem Lagerfeuer an den Strand gegangen ist. Ich sage ihr, dass das klingt, als hätte es Spaß gemacht. Sie sagt, das hat es. Keiner von uns sagt etwas über Otter, und keiner von uns sagt etwas über sie und mich, und als ich denke, dass ich mich nicht mehr unwohler fühlen kann, sieht sie hinunter auf ihre Uhr und sagt, dass sie stechen gehen muss, da sie sonst zu spät sein wird. Ich sage ihr, dass ich in einer Minute nachkomme. Sie steht auf und sieht aus, als wolle sie noch etwas sagen. Ich sehe sie erwartungsvoll an und weiß, dass ich antworten werde, egal was sie fragt, aber sie ändert ihre Meinung, wirft ihre Haare zurück und geht hinein. Sie sieht nicht zurück.
V IER Stunden später sitze ich im Hauptbüro und fülle Papierkram für die Jungs aus der Obst- und Gemüseabteilung aus. Es ist heute Abend wie ausgestorben und ich habe auch schon einen der Kassierer nach Hause geschickt. Ich hatte Anna gesagt, dass sie gehen kann, wenn sie will, aber sie meinte, sie brauche die Stunden. Der Nachtmanager traf ein und ich habe das als eine Möglichkeit gesehen, mich im Büro zu verbarrikadieren und so zu tun, als wäre ich schwer beschäftigt. Ich habe mir selbst gesagt, dass es daran liegt, dass ich beschäftigt bin und dass ich nicht versuche, mich vor jemandem zu verstecken, aber ein Teil von mir fühlte sich wie ein Betrüger. Ich räume gerade Papiere in den Aktenschrank, als ich ein leises, ungezwungenes Lachen hinter mir höre.
Ich drehe mich um und sehe Otter, wie er gegen den Türrahmen gelehnt dasteht, als wäre es das Selbstverständlichste auf der Welt. Er trägt Jeans und schwarze Stiefel und ein enges, schwarzes Shirt unter einer Lederjacke, das wenig tut, die Tatsache zu verbergen, dass unter der ganzen unnötigen Kleidung ein imposanter Körper steckt. Ich sehe ihn anerkennend an und denke, dass auch Hetero-Typen erkennen können, wenn ein anderer Kerl attraktiv ist, also kann es nicht so schwul sein. Allerdings beenden die meisten Kerle den Gedanken nicht mit dem Wunsch, sehen zu können wie der Körper ohne die ganze Kleidung aussieht.
„Was ist so lustig?“, frage ich, als er wieder leise lacht.
Er grinst. „Du siehst heiß aus in deiner Schürze.“
Ich stürme knurrend auf ihn zu. Ich schiebe mich an ihm vorbei und werfe einen Blick über seine mächtige Schulter, um sicher zu gehen, dass ihn niemand gehört hat. „Sag sowas nicht“, sage ich und blicke finster drein. „Wir sind hier auf meiner Arbeit!“ Wenigstens hatte ich meine schmutzigen Gedanken für mich behalten.
Er hebt eine Augenbraue. „Warum nicht? Du kannst ihnen einfach sagen, dass ich der schwule ältere Bruder deines besten Freundes und zurück in der Stadt bin.“ Er stellt den Kragen seiner Lederjacke hoch, zieht einen imaginären Kamm aus seiner hinteren Jeanstasche und beginnt, sich damit durch die Haare zu fahren. Ich starre ihn einen Moment länger an, bevor ich genervt seufze. .
„Was machst du hier?“, grummle ich, als er die Arme vor der Brust verschränkt.
Er sieht überrascht aus. „Ich hab dir gesagt, dass ich rüber komme, wenn du Feierabend hast. Ich hab gesagt, dass ich was für's Abendessen –“
„Otter?“, fragt eine Stimme hinter ihm.
Gott hasst mich.
Er dreht sich um und sieht Anna an der Tür stehen. Ich kann sein Gesicht nicht sehen, aber er zögert nicht, als er zu ihr geht und sie umarmt. Sie lächelt, allerdings nicht, ohne mir vorher einen flüchtigen Blick über seine Schulter hinweg zuzuwerfen. Mit diesem Blick wird viel gesagt, aber ich kann nichts davon entschlüsseln. Ich frage mich nicht zum ersten Mal, was Anna weiß, oder zumindest, was sie zu wissen glaubt . Ich versuche bei dem Gedanken nicht zu erschauern.
„Wie geht’s dir?“, fragt er Anna und ich stöhne innerlich auf. Was denkst du, wie's ihr geht? , will ich ihn anschreien. Wir haben wann... vor drei Tagen wegen dir Schluss gemacht! Denk mal eine Scheiß-Sekunde lang nach!
Sie überrascht mich, als sie sagt: „ Mir geht’s gut“, und dabei auch so klingt, als meinte sie es. Sie wirft mir
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