Bär, Otter und der Junge (German Edition)
habe, etwas für mich zu tun (auch wenn es nur für eine Nacht ist), warum wünschte ich mir, dass alles einfach wieder so wird wie es war?
„Bär, er ist nur bei einem Freund.“ Otter klingt gleichzeitig amüsiert und genervt. „Ich denke, dass er okay ist. Ich weiß, dass du okay sein wirst.“
Ich schüttle den Kopf. Wieder einmal verstehen es die Leute einfach nicht. „Schätze schon“, brumme ich vor mich hin.
Ich kann ihn durchs Telefon grinsen hören. „Also, was wirst du heute Abend tun?“
Darüber hatte ich nicht nachgedacht. Ein ganzer Abend breitet sich vor mir aus, an dem ich keine Verpflichtungen haben werde, keine Notwendigkeit, mich um das Wohlbefinden eines Anderen zu sorgen. Ich erschauere, als ich die aufkommende Einsamkeit spüre. „Keine Ahnung“, antworte ich missmutig. „Ich schätze, ich geh einfach ins Bett und versuch, 'ne Mütze voll Schlaf zu kriegen.“
Er schnaubt in mein Ohr. „Ich hab nur gefragt, weil ich höflich sein wollte. Ich dachte, es käme etwas unverschämt rüber, dir einfach zu sagen, dass du nach der Arbeit deinen Arsch hier rüber schwingen sollst.“
„Ich weiß nicht, Otter. Ich glaub nicht, dass ich heute Nacht besonders angenehme Gesellschaft bin.“
„Bär!“, fährt er mich an und ich zucke zusammen. „Erzähl mir nicht so'n Scheiß!“
„Unsere Wohnung ist näher an dem Haus von Tys Freund. Nur, falls er was braucht“, sage ich. „Ich würde mich besser fühlen, wenn ich wenigstens das habe.“
„Bitte“, sagt er. „Dann komm ich zu dir.“
„Otter“, fange ich an, und will ihm absagen. Ich denke, dass ich nur eine Mauer aufbaue, weil es da einen tiefen, dunklen Hunger gibt, der Besitz von meinem Verstand ergriffen hat. Es ist der Gedanke daran, dass Ty nicht in der Nähe ist. Es ist der Gedanke, dass ich ausnahmsweise auf mich allein gestellt bin. Es ist der Gedanke, nicht leise sein oder mich darüber sorgen zu müssen, was der Junge im Zimmer nebenan tut. Dieses Verlangen durchfährt mich und ich tue wenig, um es zu unterdrücken. Ich fühle mich beschämt und falsch und schmutzig, aber ich kann es nicht aufhalten. Ungebetene Gedanken rollen durch meinen Kopf und ich werde fürchterlich rot. Ich bin dankbar, dass niemand meine Gedanken lesen und sehen kann, wie verkommen ich bin. Wie furchtbar ich bin. Wie ich mich benehme, als wäre ich ein... Wasauchimmer.
„Ein Nein akzeptiere ich nicht“, grollt er in mein Ohr, was wiederum wenig dazu beiträgt, das Monster, das von irgendwo in mir brüllt, zu besiegen. Ich fühle mich wie benebelt, als ich nachdenke. Was geschieht mit mir?
Du darfst dreimal raten und die ersten beiden Male zählen nicht, sagt sie süßlich. Wie auch immer, ich denke, das haben wir schon hinter uns, du nicht? Warum tust du nicht das, von dem du weißt, dass du es tun willst? Morgen ist immer noch Zeit für ein schlechtes Gewissen. Aber bis dahin...
Ich denke zusammenhangslos an Teufel und ihre silbernen Zungen.
„Okay“, sage ich kleinlaut.
Er atmet tief aus und es klingt gut. „Ich komm zu dir auf die Arbeit, bevor du Feierabend machst und hol was zum Abendessen“, erzählt er mir glücklich.
„Du machst mir Abendessen?“, frage ich und versuche, nicht wie ein Idiot zu klingen. „Schon wieder?“
Ich höre ihn auflachen. „Ich sehe dich dann in ein paar Stunden.“
„Okay.“
„Hey“, sagt er.
„Selber hey.“
„Ich bin stolz auf dich. Das weißt du, oder?“, fragt er und dann hat er auch schon aufgelegt.
Ich verdrehe die Augen und schiebe mein Telefon zurück in die Tasche. Ich strecke meine Arme, als ich über mehr undenkbare Dinge nachdenke, und muss mich selbst dazu zwingen, aufzuhören. Ich schätze, mit einem harten Schwanz rumzulaufen, ist nicht unbedingt zuträglich für einen guten Kundenservice.
Ich will aufstehen, als ich sehe, wie ein bekanntes Auto auf den Parkplatz fährt. Ich sage meinen Beinen, dass sie sich in Bewegung setzen sollen, auch wenn ich weiß, dass es dämlich ist, weil ich sie ohnehin sehen muss. Meine Beine spielen nicht mit. Ich klammere mich an die Tischkante, zwinge mich aufzustehen und haue dabei meine Knie gegen die Metallstange, die unter dem Tisch verläuft. Ich gebe einen schmerzvollen Laut von mir und setze mich wieder. Ich will es erneut versuchen, als sie aus dem Wagen steigt und ihre Hand zur Stirn bewegt, um ihre Augen von der Sonne abzuschirmen. Sie sieht mich geradewegs an und selbst von da, wo ich sitze, kann ich Anna zögern
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