Bären im Kaviar
Ansprachen ä
la Slave. Russen und Polen haben im Verlaufe ihrer Geschichte verhältnismäßig
wenig miteinander zu tun gehabt, aber sobald dies der Fall ist, wird’s haarig
für die Nichtslawen, die zufällig zugegen sind. Das Hauptthema der Reden und
Trinksprüche war der bevorstehende Sieg über die Deutschen. Und die Polen waren
trotz ihres völligen Mangels an Kleidung, Nahrung, Unterkünften und selbst
Waffen nur von dem einen brennenden Verlangen besessen, das sie stur und monoton
endlos wiederholten: an die Front geschickt zu werden! Und immer wieder
beantwortete Wyschinski ihre Bitten mit dem Versprechen, daß sie — sowie sie
nur vorschriftsmäßig ausgerüstet sein würden — bestimmt bei der ersten sich
bietenden Gelegenheit ihre Tüchtigkeit beweisen könnten. Doch das befriedigte
die Polen kaum. Sie versicherten, auch mit dem bereits Vorhandenen kampfbereit
zu sein. Ja, sie fielen sogar vor Wyschinski auf die Knie und flehten ihn an,
sie sofort gehen zu lassen. Dieser blieb hartnäckig bei seiner Forderung, sie
zunächst gründlich bewaffnet zu sehen.
Einige Monate später fielen mir diese
leidenschaftlichen Szenen zwangsläufig wieder ein. Zwischen der Regierung
Sikorski und dem Kreml hatte es scharfe Auseinandersetzungen gegeben, und der
letztere hatte sich entschlossen, die polnischen Einheiten in Rußland
aufzulösen. Zur Erklärung dieses Vorgehens hielt Wyschinski in Moskau eine
Pressekonferenz ab, in welcher er der Welt mitteilte, daß die polnischen
Truppen entlassen würden, weil sie sich weigerten, gegen die Deutschen zu
kämpfen.
Die Inspektionstour mit Wyschinski und
Sikorski endete in Saratow, einer etwa dreihundertfünfzig Kilometer südlich von
Kuibyschew gelegenen Provinzstadt. Sikorski nahm von hier aus ein Flugzeug nach
Teheran und flog von dort nach London. Wir übrigen sollten nach Kuibyschew
zurück, doch hatte niemand die geringste Ahnung, wie und womit. Schließlich
fanden wir heraus, daß Wyschinski ein Flugzeug startbereit hatte, und ich fuhr
zum Flugplatz, um mein Heil zu versuchen. Aber Wyschinski behauptete, seine
Maschine sei voll. Ich könne mit dem Spezialzug zurückfahren, der uns
hergebracht hätte. Ich wies darauf hin, daß er nicht mehr da sei und es auch
mindestens fünf Tage dauern würde, während meine Order mir umgehend
zurückzukehren befahl. Doch wieder wurde Wyschinski halsstarrig. Während ich am
Fuße der zur Kabine hochführenden Leiter stand, lehnte er sich auf der obersten
Stufe gegen das Flugzeug, lächelte strahlend liebenswürdig auf mich herab und
sagte »njet«. Wyschinskis »Nein« wurden später bei der UNO berühmt, doch war
jenes frühe »Njet« das für mich eindrucksvollste. Der Wind pfiff über den
Flugplatz, das Thermometer stand um minus fünfundvierzig Grad Celsius, und die
Aussicht, in Saratow hängenzubleiben, war mehr, als ich aushalten konnte.
Ich will nun nicht behaupten, auch nur
annähernd so beredsam zu sein wie einige unserer Regierungsvertreter, aber
nachdem ich eine Viertelstunde lang im Wind der Saratower Ebene vor Kälte
gebibbert und Wyschinski in allen Tonlagen angefleht hatte, gab er plötzlich
nach und lud mich mit weiter, wohlwollender Gebärde ein, nach oben zu kommen.
Ja, er forderte mich sogar auf, mich neben ihn auf die harte Metallbank der
Kabine zu setzen.
Das Flugzeug war ein C-47er
Truppentransporter, in dessen Kabinendecke ein Maschinengewehrturm war. Leider
fehlte das Maschinengewehr — und die Kuppel auch. So hatte die Decke nur ein
großes offenes Loch, durch das der Wind heulte, als wir in volle Fahrt kamen.
Wie kalt es in der Kabine wurde, weiß
ich nicht. Ganz genau aber weiß ich, daß ich trotz doppelt gefütterten
Pelzstiefeln, etlichen Paar Pelzhandschuhen und zwei Pelzmänteln eine
Viertelstunde nach dem Start halb erfroren war. Augenscheinlich war ich es
nicht als einziger, denn Wyschinski begann in seiner Aktentasche herumzuwühlen
und förderte eine große Flasche sowjetischen Brandy zutage, die er entkorkte
und mir reichte. Ich nahm einen tiefen Zug. Er machte es mir nach und gab die
Flasche an die übrige Gesellschaft weiter, die aus einigen amerikanischen
Offizieren, Wyschinskis Leibwache und einem Sowjetfotografen bestand. Nach ein
paar Runden war die Flasche leer, und wir kauerten uns wieder in unsere Sitze,
um erneut der Kälte zu trotzen. Eine weitere Viertelstunde verstrich. Der Frost
schüttelte mich von oben bis unten; meinem Nachbar, Kommissar Wyschinski,
erging es nicht besser.
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