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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Mitternacht keinen Umgang mehr mit
der GPU!«
    Das aber schien sein Feingefühl zu
verletzen, denn das nächste, an das ich mich erinnere, war, daß ich von einem
halben Dutzend seiner Rowdies hochgehoben und im Handumdrehen an seinen Tisch
befördert wurde. Sobald ich sicher im Sessel neben ihm untergebracht war,
bestellte Smirnow eine Karaffe Wodka für sich und eine weitere für mich.
    »Wenn Sie die Karaffe leer haben,
können Sie nach Hause gehen«, sagte er liebenswürdig, aber bestimmt.
    Was blieb mir anderes übrig, als
tapfer zu trinken? Smirnows Begleiter hatten das offensichtlich schon allzu
wacker getan und fühlten sich nunmehr der Situation nicht hundertprozentig
gewachsen. Neben mir schlummerte einer sanft. Sein Kopf pendelte im Rhythmus
seines Schnarchens auf und nieder, wie die Haselmaus auf der Teegesellschaft in
»Alice im Wunderland«.
    Meine Karaffe war etwa zur Hälfte
geleert, als mir einfiel, daß ich ja mit Smirnow ein Hühnchen zu rupfen hatte:
    »Es ist schon scheußlich genug, wenn
alle unsere Attachés durch Ihre Plattfüßler halb um den Verstand gebracht
werden«, sagte ich geradeheraus, »aber jetzt fangen Sie sogar mit mir an. Als
der am längsten in Rußland lebende amerikanische Diplomat nehme ich das schwer
übel! Schließlich sind wir jetzt sogar Alliierte, und ich habe schon Stalins
Hand geschüttelt!«
    »Ich ebenfalls«, trompetete Smirnow,
»aber abgesehen davon folgt Ihnen niemand! Es ist ein Hirngespinst von Ihnen,
eine fixe Idee! Als Sie sich das letztemal beschwerten, habe ich persönlich
nachgesehen; es stimmt einfach nicht. Ich habe die komplette Liste
durchgeblättert. Sie stehen gar nicht drauf! Ich verwahre mich energisch gegen
den Vorwurf, meine besten Freunde beobachten zu lassen!«
    Er schien mir doch etwas zu heftig zu
protestieren, deshalb fuhr ich fort: »Ach — und könnten Sie mir vielleicht mal
eben erklären, was der Wagen Nummer 68-879 vorgestern den Tag über gemacht
hat?«
    Der Haselmäuserich neben mir wachte
auf und sah mich
    an:
    »Was war das für ‘ne Nummer?« fragte
er schläfrig.
    Ich wiederholte sie. Er zog ein
kleines Notizbuch aus der Tasche und sah einen Augenblick hinein.
    »Verdammt gutes Gedächtnis«, murmelte
er und sank wieder in Schlaf.
    Smirnow lärmte: »Der Kerl ist ja
stinkbesoffen! Weiß überhaupt nicht, wovon er spricht! Dem werd’ ich morgen die
Hölle verflucht heiß machen!« Aber er wußte natürlich, daß sein Spiel aus war,
und hörte bald auf zu protestieren. Zwei Minuten später hatte ich den letzten
Tropfen Wodka aus meiner Karaffe geschluckt, wünschte der GPU ein fröhliches
neues Jahr und trat leise schwankend den Heimweg an.
     
    Wie man sieht, war das Leben in
Kuibyschew doch nicht immer so langweilig und düster, wie von einer kleinen,
übervölkerten Provinzstadt zu erwarten war, wo die Temperatur nur selten über
minus dreißig Grad Celsius klettert und der Wind selten unter Windstärke fünf
sinkt. Und dann wendeten sich die Dinge an der Front. Als wir Moskau verließen,
strömten die deutschen Armeen so schnell über die Steppen, wie ihre
motorisierten Divisionen sich nur eben durch den russischen Dreck wühlen
konnten. Dann aber verlangsamte sich ihr Vormarsch in Südrußland und kam vor
Moskau zum Halten. Im Dezember erfolgte die russische Gegenoffensive am Don.
    Ich reiste derweilen durch
Zentralasien. Der polnische Premierminister Sikorski und Andrej Wyschinski
machten in einem Sonderzug eine Inspektionstour durch die Ausbildungslager der
in Rußland aufgestellten neuen polnischen Armeen. Es war eine ziemlich
trostlose Fahrt. Die neuen polnischen Divisionen zerfielen in zwei Kategorien:
die mit Schaufeln und die ohne. Die Divisionen mit Schaufeln konnten
Unterstände ausheben, um sich vor den über die asiatischen Steppen fegenden
bitterkalten Winden zu schützen. Die ohne Schaufeln mußten über der Erde
frieren.
    In jedem Lager, das wir besuchten,
wurden riesige Mengen Nahrungsmittel aus unserem Zug ausgeladen und ein großes
Bankett arrangiert. Die polnischen Offiziere waren über die reichgedeckten
Tafeln hoch entzückt, doch quälte sie jedesmal der Gedanke, wir könnten das für
ihren üblichen Eßstil halten. Wir beruhigten sie über diesen Punkt. Jedes
Bankett — vom Silber bis zum Kellner — glich so sehr dem vorherigen, daß allen
Beteiligten klar war, aus welcher Quelle es gespeist wurde.
    Jedes Bankett war darüber hinaus
natürlich der Anlaß zu einer kaum endenden Kette von Toasten und

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