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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Hafen
von Kuibyschew ein Wolgaboot mit unseren Vorräten aus Kasan an. Der Kapitän
ließ uns wissen, daß wir genau zwei Stunden Zeit zum Ausladen hätten. Die von
Norden kommenden Eisschollen befänden sich nur noch wenige Stunden
flußaufwärts, erklärte er, und er müsse vor ihnen bleiben, wenn er das
Kaspische Meer erreichen wolle, ehe die Wolga zufröre. Hafenarbeiter oder
Lastträger gab es in jenen Tagen in Kuibyschew nicht — oder doch nicht für
private Zwecke. Ergo mobilisierten wir die Botschaft und hatten das »Archiv«
tatsächlich ganz knapp vor Beendigung der genehmigten zwei Stunden auf dem
Ufer. Unsere seltsame Arbeitskolonne umfaßte die verschiedensten Sorten von
Arbeitern: einen Botschafter, eine Anzahl Generale, einen Admiral und eine
buntgemischte Menge von Obersten, Kapitänen zur See, Botschaftsräten und —
Sekretären sowie einige Journalisten. Von da an zeigte unsere Speisekarte
wieder einige Abwechslung. Und als nahezu unsere gesamten Vorräte aufgezehrt
waren, hatten die Russen glücklich einen Spezialladen eingerichtet, in dem wir
alles kaufen konnten, was zum Leben notwendig war.

Boxkampf mit Wyschinski
     
     
     
    Gleich nach unserer Ankunft in
Kuibyschew stattete Botschafter Steinhardt dem amtierenden Außenkommissar
Andrej Wyschinski einen Besuch ab. Ehe wir Moskau verließen, hatte Molotow
Steinhardt mitgeteilt, daß er und Stalin auch nach Kuibyschew fliegen und uns
dort treffen würden. Aber als wir in Kuibyschew ankamen, hielt Wyschinski die
Festung allein.
    Ich begleitete Steinhardt als
Dolmetscher. Wir fanden Wyschinski in einem versteckten kleinen Hotelzimmer.
Das Kommissariat für Auswärtige Angelegenheiten war noch nicht dazu gekommen, ein
Büro zu eröffnen. Wyschinski bot Steinhardt den einzigen Stuhl an, während er
selber sich neben mich auf die Bettkante setzte und so die geschäftlichen
Angelegenheiten besprach. Er erzählte uns von dem abgeschlagenen Angriff der
Deutschen auf Moskau und fügte hinzu, daß aus diesem Grunde die Regierung sich
entschlossen habe, vorläufig doch noch im Kreml zu bleiben.
    An den übrigen Fronten waren die
Aussichten nicht so erfreulich. Wyschinski kam uns recht bedrückt vor.
    Als wir uns zum Gehen wandten, sagte er
unvermittelt zum Botschafter:
    »Ich fürchte, ich muß Ihnen noch eine
schlechte Mitteilung machen.«
    Steinhardt stoppte mit der Hand auf
der Türklinke. Wyschinski fuhr in leisem, ernstem Ton fort:
    »Ja, wir müssen bekennen, daß wir bei
dieser ganzen Geschichte einen bösen strategischen Schnitzer gemacht haben. Man
kann nur hoffen, daß er uns nicht allzu teuer zu stehen kommt!«
    »Aber was ist denn los?« unterbrach
Steinhardt ungeduldig den Sermon.
    »Hm, ja, sehen Sie«, meinte Wyschinski
mit einem Seitenblick auf mich, »infolge der Totalverwirrung in Moskau haben
wir das Ballett und die amerikanischen Junggesellen in dieselbe Stadt
evakuiert!«
    Wie sich ergab, wurde das Ballett dann
während der folgenden kalten, düsteren Monate unsere einzige Rettung vor der
tötenden Langeweile. Einen über den anderen Abend wurde »Schwanensee« gegeben,
während an den dazwischenliegenden Abenden die Oper »Onjegin« spielte. Da sonst
nichts zu tun oder zu sehen war, kannten die Ballett-Schwärmer die
Choreographie der Schwäne zum Schluß auswendig.
    Die ermüdende Eintönigkeit von
Kuibyschew aber war am 7. Dezember 1941 plötzlich zu Ende. Als die Radiohörer
an jenem Sonntagmorgen ihre Apparate einstellten, dauerte es nicht mehr lange,
bis sie die aufregende Nachricht durch das ganze überfüllte kleine Gebäude, das
die Botschaft beherbergte, verbreitet hatten. Die Wirkung dürfte auf die
Amerikaner an der Wolga kaum anders gewesen sein als auf die am Mississippi.
Zuerst waren wir etwas benommen, dann erlöst, am Geschehen teilzuhaben. Abends schon
verfaßten die aktiven Offiziere Eildepeschen an das Kriegsministerium, in denen
sie um Rücküberweisung in den Heeresdienst baten, während der Rest dringende
Bittgesuche um die Erlaubnis zum freiwilligen Eintritt in die Armee entwarf.
Leider muß ich bezweifeln, daß auch nur einer dieser Flehrufe zu Hause je
gelesen wurde. Antwort hat jedenfalls keiner erhalten.
    Einige Tage später, genauer gesagt: am
2,0. Dezember, brachte uns das Telegrafenamt frischfröhlich ein Radiogramm
herüber, das bereits mehrere Tage zuvor aufgenommen worden war. Was es in der
Zwischenzeit damit angestellt hatte, entzieht sich meiner Kenntnis.
    Ich besitze den Originaltext noch

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