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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Amerika, und Leute wie Sie, kommunistische Lehrer und
Studenten, machen sie.«
    »Schenja,
hast du ihnen etwa gesagt, ich sei Kommunist?« Schenja errötete.
    »Nun, das nicht gerade«, murmelte er,
»ich hab’ nur gesagt, Sie wären ein »fortschrittlicher Student«.«
    Eine Minute lang war ich beruhigt,
doch dann begann ich mir auszumalen, was geschehen würde, wenn a) der Komsomol
herausfände, daß ich guter alter kapitalistischer Abstammung war, und b) die zukünftige
Botschaft Wind davon bekäme, daß ich als angebliches Parteimitglied durch
Moskau pilgerte. Die Situation ließ sich äußerst gemütlich an. Schließlich
hörte der Komsomolführer auf, und der Direktor fing an. Der Komsomolze kam zu
mir herüber und sagte, gemäß der herrschenden Regel erwarte man eine
Antwortrede von mir — auf russisch. Ich erklärte ihm höflich, ich spräche
leider noch kein Russisch und sei zudem hergekommen, um eine Schule zu
besichtigen, und nicht, um in politische Festivitäten verwickelt zu werden.
    Ich bedauerte ungemein, aber so
entschieden, wie ich nur konnte.
    Der Komsomolführer sah mich ziemlich
verblüfft an und starrte dann auf Schenja.
    »Oh, ich habe die Zusammenhänge wohl mißverstanden«,
erwiderte er kühl, »Schenja sagte, Sie seien fortschrittlicher Student, und ich
nahm selbstverständlich an, alle fortschrittlichen amerikanischen Studenten
würden uns gern zu unserem Nationalfeiertag beglückwünschen.«
    Schenja wurde knallrot und sah aus,
als ob er gleich anfangen würde zu weinen. Sein Enthusiasmus hatte ihn
anscheinend in eine hübsche Patsche gebracht, und sein jämmerliches Gesicht
sprach Bände. Es schrie geradezu nach Hilfe- Mir fiel ein, daß auch
Staatsregierungen einander zu nationalen Feiertagen beglückwünschen, selbst
wenn ihre Meinungen in weltanschaulichen Fragen auseinandergingen. Vor gar
nicht langer Zeit hatten wir Hitler einen Glückwunsch gesandt.
    Also erklärte ich mich bereit, eine
Rede zu halten, wenn sie sehr kurz sein und in lateinischen Buchstaben
phonetisch niedergeschrieben werden würde. Ein Lehrer, Schenja und ich zogen
uns zurück, um den Entwurf auszuarbeiten. Während meiner späteren Tätigkeit
habe ich eine ganze Anzahl von Reden entworfen und Übereinstimmungen erhandelt,
aber dieser Entwurf und diese Verhandlungen waren — im Verhältnis zur Länge des
Dokumentes — ermüdender und weitschweifiger als alle anderen.
    Der Lehrer produzierte den ersten
Entwurf.
    »Genossen«, hieß es darin, »anläßlich
des sechzehnten Jahrestages der Großen Oktoberrevolution überbringe ich Ihnen
die feurigen Grüße aller fortschrittlichen Lehrer und Studenten in Amerika. Es
lebe die Weltrevolution!«
    Ich las und wand mich. Für den Anfang,
sagte ich, sei es zu lang. »Lassen wir einen Satz weg — am besten den zweiten.«
    Etwas widerstrebend stimmten sie zu.
Dann setzte ich ihnen auseinander, daß ich kein Recht hätte, für eine bestimmte
Gruppe von Amerikanern zu sprechen, da ich von keiner offiziell dazu beauftragt
war. »Sagen wir doch einfach >Grüße aus Amerika< und streichen wir die
ganze Feuergeschichte. Das ist gar nicht typisch amerikanisch«, fügte ich
hinzu.
    Nach vielem Hin und Her einigten wir
uns auf parlamentarischer Basis.
    »Und dann das Wort »Genossen««, sagte
ich, »letzten Endes bin ich kein kommunistisches Parteimitglied, und es wäre
höchst anmaßend von mir, einen Ausdruck zu gebrauchen, der zumindest in Amerika
nur und ausschließlich Parteimitgliedern vorbehalten ist.« Der Lehrer und
Schenja erstarrten.
    »Eine Rede nicht mit — Genossen«
anzufangen ist einfach unmöglich«, sagten sie fassungslos, »zumindest in der
Sowjetunion.«
    Ich blieb ehern und bestand darauf,
daß es ausradiert würde. Sie blieben ehern und bestanden darauf, daß es bleiben
müsse. Wir steckten in einer Sackgasse und zogen den Komsomolführer zu. Er
argumentierte. Ich argumentierte.
    »In der Sowjetunion ist eine Rede ohne
»Genossen« keine Rede«, sagte er.
    »In Amerika ist das anders«,
entgegnete ich scharf.
    »Aber
Sie haben uns inzwischen anerkannt«, sagte er, »und außerdem: In Rom paßt man
sich den Römern an.«
    »Präsident
Roosevelt schrieb an Kalinin »Freund««, erwiderte ich, »und Präsident Roosevelt
sagt immer »Freunde«, wenn er eine Rede hält.«
    Der Name Roosevelt beeindruckte
anscheinend den Komsomolzen, und schließlich war er damit einverstanden, daß
wir »Genossen« durch »Freunde« ersetzten.
    Mittlerweile hatte der Direktor

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