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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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werden etwa dreißig Gäste dasein.«
    Ich
verstand den Wink, versprach ihm, genügend mitzubringen, und hängte ein.
    Zwei Tage später rief er wieder an.
    »Haben Sie noch von dem französischen
Champagner, den ich mal in Ihrer Wohnung probiert habe?«
    Ich sagte, es sei noch etwas da.
    »Meinen Sie, Sie könnten ein bißchen
zu meinem Fest mitbringen? Ein paar von den Gästen mögen keinen Wodka... oder
Whisky«, setzte er schleunigst hinzu.
    »Wieviel?« fragte ich.
    »Nun, wie ich schon sagte, es werden
so um die dreißig Gäste kommen.«
    Wieder versprach ich, genügend
mitzubringen, und hängte ein.
    Am Tag des Festes rief er mich noch
einmal an.
    »Sie vergessen doch den heutigen Abend
nicht?« erinnerte er mich. »Zehn Uhr dreißig in der Wohnung meiner Mutter — und
nicht zu spät kommen!«
    Ich versicherte, ganz pünktlich zu
erscheinen.
    »Oh, dann noch eine Kleinigkeit«,
meinte er beiläufig, »erinnern Sie sich noch an den litauischen Wodka, den wir
damals bei Ihnen getrunken haben? Ich glaube, er hieß >Kristall<.
Besitzen Sie zufällig noch welchen?«
    Ich sagte, es seien noch ein paar
Flaschen da. Wie viele er haben wolle?
    »Nun, Sie wissen doch: knapp dreißig
Gäste!«
    Am Abend erschien ich mit einer
üppigen Auswahl an Whisky, Champagner und Wodka. Der Eßzimmertisch brach fast
unter allen in Moskau nur erhältlichen Sakuski zusammen: hartgekochten Eiern,
Schinken, rotem Kaviar, schwarzem Kaviar, Gurken, Radieschen, Sardinen,
Heringen, ganzen Stapeln von Weiß- und Schwarzbrot und sogar Butter. Ich
wunderte mich, wie in aller Welt ein Schauspieler mit zweihundertfünfzig Rubeln
pro Monat sich das erlauben konnte.
    Unter herzlichen Glückwünschen und
Komplimenten überreichte ich ihm meinen kleinen Beitrag zum Fest und fing an,
den Abend zu genießen.
    Wie bei allen inoffiziellen russischen
Festen trafen die Gäste bereits in bester Stimmung ein und ließen sich nicht
erst lange bitten, ihren individuellen Anteil zur allgemeinen Unterhaltung
beizusteuern. Ja, dazu waren sie in einem Maße bereit, daß, wenn einer sich
kaum gesetzt hatte, der nächste schon aufsprang, um seine Lieblingsrolle
vorzuspielen. Der alte Katschalow, der Senior des Theaters, rezitierte eine
Erzählung von Tschechow. Tarassowa brachte Teile ihrer Rolle als Anna Karenina.
Angelina Stepanowa, ebenfalls Mitglied des Theaterensembles, spielte die
jüngere Tochter aus dem »Kirschgarten«. Dazwischen verlangte dauernd eine der
anwesenden Ballerinen irgendein bestimmtes Musikstück und wirbelte in ihrem
Lieblingstanz durchs Zimmer.
    Und selbstverständlich aß und trank
jeder, ohne sich den leisesten Zwang anzutun. Das russische Nachtleben beginnt
erst spät und endet meist am nächsten Morgen in der Frühe. Um halb neun
anderntags fiel es mir heiß auf die Seele, daß es höchste Zeit zum Dienst
wurde. Ich arbeitete damals unter dem seit Mukden berühmten Angus Ward in der
Konsularabteilung der Botschaft, und Ward war für straffe Disziplin bekannt.
Hastig verabschiedete ich mich und trabte im Dauerlauf zum Büro, wo ich es
gerade noch fertigbrachte, in meinen Schreibtischsessel im Empfangszimmer zu
plumpsen, ehe Ward hereinmarschiert kam. Irgendwie brachte ich auch diesen Tag
hinter mich. Wer jedoch den Tätigkeitsbericht des Moskauer Konsulats unter
jenem Datum einsieht, wird vermutlich einen krassen Tiefstand feststellen.
    Gegen Ende des Nachmittags, als meine
Widerstandskraft den Nullpunkt erreicht hatte und meine Augen die Bürouhr kaum
noch losließen, klingelte das Telefon. Mein Gastgeber von der vergangenen Nacht
rief an.
    »Wie fanden Sie mein kleines Fest?«
    »Ein bißchen zu gut für meine
Gesundheit«, ächzte ich, »im übrigen glänzend. Ich verstehe nicht, wie Sie das
überhaupt fertiggebracht haben.«
    »Oh, ich hoffe nur, es war wirklich
gut«, meinte er und fügte etwas reumütig hinzu: »Es hat mich mein ganzes
nächstes Monatsgehalt gekostet.« Einen Augenblick lang zögerte er, dann:
»Charlie, könnten Sie mir wohl zweihundertfünfzig Rubel bis zum nächsten
Ersten leihen?«
     
    Selbst wenn sich jemand am linken
Seineufer oder mitten im Himalaya oder in Zentralafrika vergräbt — selbst dann
muß er hin und wieder zum Luftschnappen auftauchen. In jenen frühen Tagen, als
ich noch praktisch jede freie Minute damit zubrachte, vertrackte
Adjektivendungen auswendig zu lernen, gestattete ich mir wöchentlich einen
freien Nachmittag in der amerikanischen Kolonie. Meist besuchte ich freitags
William Henry

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