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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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vorausgesetzt, daß ich es gerade gekämmt hatte. Sie benahm sich genau wie jeder
andere Junghund und zerfetzte pünktlich alle meine Schuhe und beinahe alle des
Botschafters. Sehr früh schon wurde sie in die höchste Moskauer Gesellschaft
eingeführt. Beim ersten Bankett, an dem sie teilnehmen durfte, saß sie auf
Marschall Woroschilows Schoß, wo es ihr — wie bereits beschrieben — gelang, ihm
die Breeches anzufeuchten. Der Marschall verübelte es ihr nicht, sondern nahm
sie nach erfolgter Säuberung wieder auf seinen Schoß zurück.
    Doch sie wuchs heran, und mit ihr
wuchs der Schaden, den sie anrichtete. Schließlich stand ihre Fähigkeit, in
unmögliche und sogar gefährliche Situationen zu geraten, in gar keinem Verhältnis
mehr zu ihrer Selbstbeherrschung, und ich sah mich gepeinigt nach einem
Dresseur um. Aber alle Hundedresseure in Moskau gehörten der GPU an, und ich
konnte erst aus meinen Nöten erlöst werden, als sich diese Institution
liebenswürdigerweise des Kapitalistenhundes erbarmte.
    Drei Monate lang ging nun Midget zu
Stalins Geheimpolizei in die Lehre.
    Bei der Rückkehr war sie stolzer
Träger des hündischen Gegenstücks zum sowjetischen »Dr. phil.«. Das Diplom
bestand in einer großen rot-gelben Emaille-Plakette, auf deren Rückseite Name
und Prüfungsergebnis (»mit Auszeichnung«) eingraviert waren.
    Diese Plakette sollte sich später
einmal als sehr nützlich erweisen. 1939, kurz vor Kriegsausbruch, war ich in
Hamburg stationiert und wohnte im Hotel Atlantic. Als ich eines Abends
besonders müde und abgespannt heimkam, erfuhr ich, daß Hermann Göring für das
Wochenende ins Atlantic übergesiedelt war. Infolgedessen durfte ich meinen
Wagen nicht an der üblichen Stelle parken und durfte den Haupteingang erst nach
gründlicher Inspektion seitens der Polizei benutzen. Anschließend konnte ich
mich kaum durch den Schwarm ordenbesäter, bänderverzierter, farbenprunkender
Göringbegleiter bis zum Fahrstuhl durchquetschen. In meinem Zimmer angelangt,
war ich dann auf Göring und seinen Rattenschwanz komischer Begleiter so wütend,
daß ich mir nach dem Umkleiden den roten Seidengürtel meines Bademantels wie
das Band des St.-Georgs-Ordens über Brust und Schulter des Abendanzuges
schlang. Darauf bespickte ich ihn kurz entschlossen mit sämtlichen Nadeln, die
ich erwischen konnte: Krawattennadeln, Kragennadeln, Sicherheitsnadeln,
Nähnadeln und Stecknadeln. In der Mitte prangte Midgets sowjetischer »Dr.
phil.«. Im Fahrstuhl musterten mich zuerst neugierige Blicke, doch als die
Mitfahrer sich die Dekorationen näher betrachteten, glichen ihre Gefühle — wie
ich im stillen gehofft hatte — ganz offensichtlich den meinen bei der Ankunft
im Hotel. Immerhin fletschten sie nur die Zähne und fraßen ihren Ärger in sich
hinein, so daß ich mit dem Leben — und dem kompletten Seidengürtel — davonkam.
    Unter den Tricks, die Midget bei der
GPU gelernt hatte, machte besonders einer ihre diplomatische Karriere zu einer
förmlichen Siegeslaufbahn. Wenn man ihr ein Stück Zucker vorhielt und ihr
erzählte, es sei ein Geschenk von Hitler (oder Fritz Müller oder Otto Schulze),
drehte sie die Nase verächtlich weg und beschnupperte es nicht einmal prüfend.
Man hätte die Namen der halben Welt mit dem gleichen Ergebnis nennen können.
Machte man aber irgendwann mit dem kleinen Finger eine ganz bestimmte, winzige
Bewegung, schnappte sie gleich gierig zu. Ich habe diesen Trick allen möglichen
Leuten — Königen und Schornsteinfegern — vorgeführt und selbstverständlich das
Zeichen immer dann gemacht, wenn der Name der betreffenden Person fiel. Niemals
ist mir jemand begegnet, dessen Ego sich nicht bei Midgets Zuschnappen wie ein
Luftballon blähte. Sie schienen alle anzunehmen, ich säße halbe Nächte lang
auf, um Midget ihre Namen beizubringen. Nach dieser Erfahrung möchte ich fast
behaupten, daß den meisten Leuten mehr daran liegt, bei einem Hund in gutem
Geruch zu stehen als bei der Mehrzahl ihrer Mitmenschen.
    Nachdem wir etwa ein Jahr in Moskau
waren, mieteten wir Junggesellen der Botschaft uns eine »Datscha« — das ist
eine echt russische Sommervilla auf dem Lande. Zur größten Erleichterung des
Botschafters wurde auch Midget dorthin gebracht, wo sie dann den ganzen Rest
ihrer Moskauer Zeit verblieb.
    Kurz darauf bekam sie Gesellschaft.
Die Tochter des japanischen Botschafters Togo schenkte mir nämlich einen
kleinen Pekinesen. Nur um zu zeigen, daß ich nicht antijapanisch

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