Bärenmädchen (German Edition)
Vergehen begangen habt. Herr Rockenbach hat sich aber entschieden, Ines in der zweiten Ausbildungsphase zu betreuen. Gütig wie er ist, wird er ihr dann ausgiebig Gelegenheit geben, ihren Fehler wiedergutzumachen. Du Anne aber wirst heute bestraft werden.“ Sie fuhr fort: „Frau Schröter aus der Krankenabteilung wird den Eingriff vornehmen. Ihr anderen werdet euch das zur Warnung gut anschauen.“
Daraufhin griff die Pausbäckige Anne unters Kinn und hob ihren Kopf hoch. Anne sah, wie die kleinen Schweinsäuglein ihre Nase begutachteten. „Die hat eine dünne Scheidewand. Das wird kein Problem. Verfrachten wir sie einfach in den Käfig“, erklärte sie wichtigtuerisch.
„Aber den Ring will ich setzen. Ich habe das auch schon bei Bullen gemacht, daheim auf unserem Hof in Russland“, forderte Rockenbach.
„Nein, Herr Rockenbach, das überlassen wir doch lieber unserer medizinischen Fachkraft“, antworte die Krähe mit lässiger Autorität.
Zu Annes größter Erleichterung fügte sich Rockenbach. Er stellte den Käfig ab, öffnete das Oberteil und wies Anne an, hineinzusteigen. Sie spürte, wie sie zitterte, als sie sich hinhockte und der zweigeteilte Deckel verschlossen wurde, so dass nur noch ihr Kopf herausschaute. Jetzt dämmerte ihr auch, was passieren würde, und zum ersten Mal, seit sie ins Schloss gekommen war, verspürte sie echte, eisige Furcht. Ihre Hände - wie ihr ganzer Körper eingezwängt im Käfig - krampften sich fast reflexhaft um ihre Fußknöchel. Bebend schaute sie auf die anderen Mädchen, die sich rechts von ihr aufgereiht hatten. In ihren erschrockenen Gesichtern spiegelte sich nur ihre eigene Angst wieder. Annes Blick glitt zur Krähe und für einen kurzen Moment hatte sie tatsächlich das Gefühl, dass diese ihr beruhigend zunickte. War es nur Einbildung oder wirklich eine menschliche Regung? Egal – sie klammerte sich daran, wie an einen dünnen Ast, der sie davor bewahren sollte, im Treibsand zu versinken.
Die pausbäckige Krankenschwester und Rockenbach dagegen genossen die Situation in vollen Zügen. Ihre Augen schienen geradezu gierig jede angstvolle Reaktion von Anne aufzusaugen. Die Krähe übernahm unterdessen die Urteilsverkündung. An die aufgereihten Mädchen gewandt verkündete sie: „Eigentlich muss man euch ja immer ganz schnell nach einer Verfehlung maßregeln. Sonst bringt euer kurzes Gedächtnis nämlich Strafe und Vergehen nicht mehr miteinander in Verbindung. Dieses Mädchen aber wird von nun an, solange es im Schloss ist, permanent mit einer Gedankenstütze versehen. Bei jedem Schritt soll sie sich daran erinnern, dass die Zeiten, in denen sie eigenmächtig Unfug treiben konnte, vorbei sind. Außerdem hören wir dann natürlich auch immer, wo sie sich gerade herumtreibt.“
Die Pausbäckige kicherte bei diesen Worten, dann hatte sie plötzlich etwas in der Hand. Es war ein Ring, an dem ein kleines Glöckchen befestigt war. Sie schwenkte es vor Annes Augen hin und her. Ein silbrig heller Ton war zu hören. Anne erkannte den Gegenstand. Das Glöckchen war viel kleiner als das auf Abners Schreibtisch, aber es trug die gleichen Gravuren. Es war die Nummer drei der Geschenke aus dem marokkanischen Königshaus. Nun hatte Abner also eine Verwendung dafür gefunden.
Noch während sie wie hypnotisiert auf den Gegenstand schaute, kniete sich Rockenbach hinter sie, packte mit beiden Händen ihren Kopf und zog ihn nach hinten. Dann war auch die Pausbäckige heran. Sie hantierte mit einem Spray herum. Anne spürte eisige Kälte an ihrer Nase. Danach ein kurzer stechender Schmerz. Sekunden später waren Ring und Glöckchen angebracht. Verwirrt merkte sie, dass auch ihr Halsband entfernt wurde und ihr ein neues umgelegt wurde. Die Begründung ließ nicht lange auf sich warten. Die Krähe verkündete: „Dieses Mädchen wird von nun an Glöckchen heißen, und jeder, der sie anders nennt, wird bestraft werden.“ Auf ihrem Halsband stand jetzt ein anderer Name. Man hatte sie einfach unbenannt!
Die Zeremonie war damit beendet, aber Anne wurde weiterhin im Käfig gelassen. Ja, sie sollte sogar den Rest des Tages dort verbringen. Es gelte nämlich einer typischen Unart vorzubeugen, erklärte Maximiliane Schröter der Krähe. Neuberingte Mädchen hätten den Drang, ständig an Nase und Ring herumzufummeln. Das könne zu Infektionen führen und sei hässlich anzuschauen. Außerdem wäre es ihnen nur schwer wieder abzutrainieren, wenn sie es sich einmal angewöhnt hätten. Der
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