Bärenmädchen (German Edition)
sprechen, lag daran, dass ihr Schweigegebot eine der beiden Anweisungen war, die nicht streng durchgesetzt wurden. Die andere bezog sich ebenfalls auf den Umgang der Mädchen untereinander. Die Krähe hatte ihnen am Ende ihres ersten Tages im Schloss mitgeteilt, dass sie sich fortan auch gegenseitig zu kontrollieren hätten. Sollte eine von ihnen bemerken, dass ein Mitzögling Regeln verletze, hätten sie dies unverzüglich zu melden. Ansonsten drohe ihr eine ebenso strenge Strafe wie der Übeltäterin selbst. Trotzdem ließ sich keines der Mädchen dazu herab, eine andere zu verpetzen. Da auch die Krähe nicht darauf zu bestehen schien, geriet die Anweisung schnell in Vergessenheit. Sehr zu Annes Beruhigung. Ihr war klar, dass das Leben im Schloss umgeben von neun spitzelnden Mitzöglingen für jede von ihnen noch viel härter geworden wäre, als es das ohnehin schon war.
Sehr erleichtert wurde es auf jeden Fall durch ihre verstohlenen Unterhaltungen. Sobald Anne und die anderen Mädchen erkannt hatten, dass keine Strafe drohte, wenn sie vorsichtig waren, nutzten sie praktisch jede Gelegenheit dazu. Gierig sogen sie alles, was in Erfahrung zu bringen war, auf und gaben es ebenso eifrig weiter. Wichtiges und Belangloses war dabei, Wahres und Halbwahres: Dass im Schloss ein neuer Koch arbeitete, dass die Spezialausbildung in der nächste Woche starten würde und dass der Sicherheitschef zu einer Dienstreise nach Russland abgereist war. Schaudernd vernahmen sie auch das Gerücht, dass im Schloss ein Alpha eingetroffen sei, dessen Zepter „ungelogen“ vier Handbreit im erigierten Zustand messe.
Sie sprachen schnell und flüsternd, verschluckten unwichtiges und ersetzten anderes durch Gesten oder Mimik. Fortwährend horchten sie nicht nur auf die Worte ihres Gegenübers, sondern auch nach Schritten oder verdächtigen Geräuschen. Wenn eine Beta allzu unvorsichtig ihren Mund öffnete, bekam sie die Peitsche zu spüren oder wurde anderweitig bestraft. Die Krähe war eine Meisterin darin, Strafen zu ersinnen, die das Vergehen widerspiegelten. Beatrice, das Mädchen mit dem Puppengesicht, bekam dies zu spüren. Sie hatte es gewagt, im „Platz“ ein paar Worte an das Mädchen zu richten, das neben ihr in der gleichen Position kniete.
Eine, wie Anne fand, extrem leichtsinnige Aktion, die es praktisch schon verdient hatte, ein böses Ende zu nehmen. Beatrice hatte nicht gemerkt, dass eines der Engelsgesichter hinter ihr stand. Das Vergehen wurde umgehend der Krähe gemeldet und das Mädchen musste mit einem in Essig getränkten Schwamm im Mund eine Stunde im „Platz“ ausharren. Am Ende schaute aus ihren Klimperaugen die pure Verzweiflung. Danach sprach Beatrice volle zwei Tage nicht mehr ohne Erlaubnis. Dann allerdings wurde ihr Bedürfnis sich mitzuteilen wieder so groß, dass sie sich eifrig wie vorher an den heimlichen Gesprächen beteiligte.
Beatrice war es auch, die von der anstehenden Willkommensfeier erfuhr. Eine Zofe erzählte ihr beim Arbeitseinsatz im Park davon. Atemlos und mit schreckgeweiteten Augen raunte Beatrice es danach den anderen zu. Die Feier wurde regelmäßig für alle Zöglinge nach den ersten vierzehn Tagen ausgerichtet. Man würde sie bei diesem Anlass ihren neuen Gebietern für die zweite Erziehungsphase übergeben. Die Alphas würden erstmals und in praktisch allen erdenkliche Arten Sex mit ihnen haben – und man würde sie alle ohne Ausnahme auspeitschten.
Die Mädchen zeigten sich nach außen sehr erschrocken und ängstlich über diese Nachricht. Anne fragte sich aber, ob die anderen nicht in Wirklichkeit so wie sie selbst empfanden. Auch sie hatte große Angst, aber ebenso sah sie dem Ereignis mit lustvollem Schaudern entgegen. Es war ebenso verwirrend und kompliziert wie ihre ganze Gefühlslage derzeit. Sie spürte deutlich, dass sie sich nicht nur mit ihrer Situation arrangierte. Ein Teil von ihr fand auf geradezu betörende Weise Lust und Vergnügen daran. Weil dieser Teil mehr und mehr von ihr Besitz zu ergreifen schien, überlegte sie grimmig, dass sie nach ihrer Zeit im Schloss wohl eine Art Methadon-Programm für Masochisten brauchen würde. Inklusive täglicher Einnahme von Tabletten, die Lust auf Blümchen-Sex auslösen würden.
Ob sie der Organisation Magnus überhaupt den Rücken kehren wollte, nachdem sie probeweise „Betaluft“ geschnuppert hatte? Ja, ja und nochmals Ja. All dies hier würde sie in ihrem Kopf zu einer kleinen festen Kugel zusammenrollen und dann
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