Bahama-Krise
wird
schon irgendwas einfallen.« Er ging vor zur Plicht, währenddessen sah
ich mich in der Luke um. Sam hatte recht gehabt, als er sagte, daß
Kayles ein guter Segler war. Alles an Bord war bestens aufgeräumt und
verstaut. Einen schlechten Seemann erkennt man an der klassischen
Unordnung, die auf seinem Boot herrscht. Hier unten aber sah alles tipp
topp aus, und oben auf Deck würde es nicht anders aussehen. Der Zustand
des Bootes war so, daß Kayles innerhalb von fünf Minuten hätte
auslaufen können.
Daß jemand ein guter Seemann ist, bedeutet nicht
notwendigerweise, daß er auch ein guter Mensch ist. Die Geschichte der
Piraterie auf den Bahamas zeigt das. Ich drehte Kayles so, daß sein
Gesicht nach oben lag, und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. Zum
erstenmal konnte ich seinen Kopf in aller Ruhe betrachten. Hatte ich
bisher noch im stillen befürchtet, Sam könnte sich vielleicht doch
geirrt haben, so verflogen jetzt die Zweifel. Vor mir lag unverkennbar
der Mann, dessen Bild die arme Sue auf den Film gebannt hatte, bevor
sie starb.
Ich setzte mich an den Kartentisch und knipste die
verstellbare Lampe dort an. Dann durchsuchte ich die Schubfächer. Jeder
gute Seemann führt ein Logbuch – wenn er nichts zu verbergen
hat. Hatte Kayles die Bewegungen seines Bootes irgendwo aufgezeichnet?
Wenn ich Unterlagen darüber fand, so konnte das die Aufklärung der
ganzen Sache nur beschleunigen.
Ich fand kein Logbuch. So beschloß ich, mir die Seekarten
anzusehen. Die meisten Skipper benützten einen weichen Bleistift, um
ihren Kurs auf der Seekarte einzuzeichnen. Der Bleistift kann leicht
wieder ausradiert werden, so daß Kurskorrekturen möglich sind. Und
manche Skipper radieren nach Beendigung der Fahrt die ganze Route
wieder aus. Die meisten Yachties, die ich kenne, verfahren jedoch
anders, sie lassen die eingezeichnete Route stehen, für den Fall, daß
sie die gleiche Strecke noch mal fahren. In den Jachthäfen ist ein
gewisses Maß von Angeberei unter den Skippern an der Tagesordnung. Man
besucht sich gegenseitig, trinkt und tauscht die haarsträubendsten
Storys aus. Zugleich zeigt man auf den Seekarten die Route, wo das
unglaubliche Abenteuer passiert ist.
Das Kartenwerk, das sich auf Kayles' Boot befand, umfaßte
Nordamerika bis hinauf nach Kanada und Mittelamerika bis hinunter nach
Guyana. Von der Karibik und den Bahamas gab es großformatige Karten.
Auf den meisten Karten fanden sich handschriftliche Eintragungen von
Daten, die Kayles über den eingezeichneten Routen notiert hatte.
Offensichtlich hatte er, wie es in der Sportschiffahrt üblich ist,
mittags mit Hilfe des Sonnenstandes seine Position bestimmt und jeweils
auf der Karte eingetragen. Kaum ein Skipper vermerkt bei solchen
Eintragungen auch das Jahr. Tag und Monat genügt. Auch Kayles hatte
sich an diese Regel gehalten. So blieb die Frage offen, in welchem Jahr
die verschiedenen Fahrten unternommen worden waren.
Sam kam wieder zu mir in die Luke. Er warf einen prüfenden
Blick auf Kayles. »Der könnte jetzt langsam aufwachen«, brummte er. Ich
sah ihm zu, wie er zur Pantry ging und eine Aluminiumpfanne mit Wasser
füllte. Er kam zurück und entleerte den Inhalt der Pfanne auf Kayles'
Gesicht.
Kayles stöhnte und bewegte den Kopf. Immer noch waren die
Augen geschlossen.
»Sieh dir mal diese Karten an, Sam«, sagte ich. »Vielleicht
fällt dir irgendwas auf.« Wir wechselten unsere Plätze. Ich trat zu
Kayles, der in diesem Augenblick zu blinzeln begann. Sein Blick erfaßte
mich, aber sein Gesichtsausdruck blieb verständnislos. Wie ich annahm,
hatte er eine Gehirnerschütterung erlitten. Es würde noch etwas dauern,
bis sich ein vernünftiges Wort aus ihm herauskriegen ließ. Ich
beschloß, mich in der Zwischenzeit noch etwas an Bord umzusehen.
Ich weiß nicht genau, wonach ich eigentlich suchte. Aber ich
durchwühlte das Boot von oben bis unten. Einmal mehr bestätigte sich,
daß ich es mit einem sehr ordentlichen Mann zu tun hatte. Die Dosen mit
Speisen standen sauber nebeneinander und waren beschriftet, so daß man
über den Inhalt Bescheid wußte, ohne jede Dose zu öffnen. Kayles hatte
einen guten Vorrat an Konserven eingelagert. Soviel, daß er monatelang
umhersegeln konnte, ohne einzukaufen. Um den Inhalt der Dosen zu
kennzeichnen, hatte Kayles wasserfeste Selbstklebestreifen und einen
wasserfesten Stift verwandt. Wenn bei starkem Seegang Wasser ins Boot
geriet, gingen die handelsüblichen Aufkleber ab, so daß man auf
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