Bahners, Patrick
Veränderung in euren Gedanken, eurer Moral
und euren Taten zu bewirken, dann ist ihr bloßes Aussprechen bedeutungs- und
wirkungslos.» Über die Schützengräben des Dschihad hinweg kann Grell den
Philosophen des Gottesstaates mit Zustimmung zitieren. «Besser lässt sich auch
unsere Position nicht beschreiben.» Auch Theologen, die nicht wie Maududi aus
dem Glaubensbekenntnis die Pflicht zum Selbstopfer im Kampf für die
Wiedererrichtung des Kalifats ableiten, werden der Mahnung zustimmen, dass man
es erst nach reiflichster Überlegung sprechen soll, wenn man sich vollständige
Klarheit über alle Konsequenzen des Satzes für das eigene Leben verschafft
hat. Zu einer solchen letzten Klarheit über die Bedeutung der freiheitlichen
demokratischen Grundordnung muss man nicht vorgedrungen sein, um reinen
Gewissens und glaubhaft zu versichern, man wolle ein tugendhafter Bürger unter
dem Grundgesetz werden. Denn Worte wie «Gott», «Allah» und «Gesandter» haben
eine andere Funktion als Ausdrücke wie «das Recht auf Bildung und Ausübung
einer parlamentarischen Opposition» und «die Ablösbarkeit der Regierung und
ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung», zwei Punkte der
Legaldefinition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus Paragraph 4 des Gesetzes über die Zusammenarbeit des Bundes und der
Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für
Verfassungsschutz.
Das Leben des Rechts
Der berühmte neuseeländische Historiker John Pocock lehrt
seit Jahrzehnten in den Vereinigten Staaten. Dass er kein Bürger der Vereinigten
Staaten geworden ist, begründet er damit, dass er den bei der Einbürgerung zu
leistenden «Oath of Allegiance» nicht verstehe. Genauer: Er wäre nicht sicher,
wozu er sich verpflichtete, wenn er der Verfassung der Vereinigten Staaten
«true faith and allegiance» schwören sollte - obwohl oder gerade weil er ein
Fachmann für die Geschichte des Lehnsrechts ist, aus dem die Begriffe der
Eidesformel stammen. Was geschieht, wenn Pocock doch noch einmal zu dem Schluss
kommt, nach jahrzehntelanger Teilnahme am amerikanischen politischen Leben
glaube er nun zu verstehen, was damit gemeint sei, dass man einem Text dieselbe
Art von Treue entgegenzubringen habe wie früher einem Fürsten? Die
Einbürgerungsbehörde wird seinen Antrag wohl nicht unter Verweis auf seine
früher geäußerten theologischen Skrupel zurückweisen.
Im deutschen Staatsangehörigkeitsrecht sind alle Spuren
des theologischen Vokabulars der alteuropäischen Staatslehre getilgt - bis auf
das Verb «bekennen». In der Begründung zum Staatsangehörigkeitsgesetz wird die
vom Bekenntnis zur Grundordnung unterschiedene Versicherung, keine
umstürzlerischen Absichten zu verfolgen, als «Loyalitätserklärung» bezeichnet.
Aber noch nicht einmal das Wort «Loyalität» kommt im Gesetzestext vor. Die
gesetzliche Definition von Loyalität ist demnach eine negative: Verzicht auf
revolutionäre Pläne. Beim muslimischen wie beim christlichen Glaubensbekenntnis
geht es um den Gewinn oder das Verfehlen der ewigen Seligkeit. Die
freiheitliche demokratische Grundordnung umfasst dagegen Regeln für die
hiesigen zeitlichen Verhältnisse, die sich so gut bewährt haben, dass wir
unbedingt an ihnen festhalten wollen. Bisweilen sagt ein Politiker, sie
stünden nicht zur Diskussion. Gemeint ist aber auch dann: Eine Diskussion
darüber, ob wir sie alle brauchen, stellen wir uns nicht ergiebig vor. Diese
Regeln sind freilich durchaus der Auslegung zugänglich und bedürftig, der
Fortentwicklung durch Nachdenken. Das gilt insbesondere für die im Grundgesetz
konkretisierten Menschenrechte, den letzten Punkt der Definition des
Verfassungsschutzgesetzes. Während die Religionsgemeinschaften ihre Grundsätze
durch zuständige Autoritäten festschreiben lassen, um beispielsweise mit dem
Staat einen Vertrag über Religionsunterricht nach Artikel 7 des Grundgesetzes schließen zu können, sind die Spielregeln
der Demokratie nicht dogmatisch fixiert.
Das Leben des Rechts ist nicht Logik, sondern Erfahrung:
Mit diesem Satz zog der amerikanische Verfassungsrichter Oliver Wendell Holmes
die Quintessenz aus der angelsächsischen Übung, dass die Richter von Fall zu
Fall entscheiden und die Regeln durch allmähliche Verallgemeinerung optimieren.
Die pragmatische Maxime bewahrheitet sich gerade in der Übergangszone zwischen
Staat und Gesellschaft, wo die Fairnessstandards der politischen Beratungs-
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