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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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und
Entscheidungsabläufe ausstrahlen auf andere Organisationen und Assoziationen,
wo die Rechte des Bürgers gegen den Staat abfärben auf die Rechte der Bürger
gegeneinander. Nachfragen muss nicht schaden, aber wer seit acht Jahren in
Deutschland lebt und arbeitet, sollte eigentlich verstanden haben, was es
bedeutet, Bürger eines Landes zu sein, in dem Frauen die gleichen Berufe
ausüben wie Männer und das gleiche Geld bekommen sollen, in dem die Prediger
aller Religionen ebenso frei sind wie die Spötter, in dem die Regierungen
regelmäßig ausgetauscht werden - und in dem all dies jederzeit Thema von Massenmedien
werden kann.
    Während Grell im Herbst 2003 darüber nachdachte, wie man
Muslime ins republikanische Gebet nehmen konnte, wurde auch im Bureau of
Citizenship and Immigration Services der Vereinigten Staaten an Änderungen beim
Treuebekenntnis gearbeitet. Der Chef der Behörde legte dem zuständigen
Unterausschuss des Repräsentantenhauses dar, das Nachsprechen der Eidesformel
garantiere nicht, dass der neue Bürger ein guter Bürger sein werde. Aber er müsse
verstehen, was er verspreche. Der Satzbau und die archaischen Vokabeln der
geltenden Formel bereite sehr vielen Einwanderern Schwierigkeiten. Die
vorgeschlagene Verschlankung hätte Pococks Problem beseitigt: Die Verfassung
wäre nicht mehr als fürstengleiche Schutzmacht personifiziert worden. Die
Abgeordneten gaben der Tradition den Vorzug vor der Verständlichkeit, weshalb
die Formel nicht geändert wurde. So mag die feierliche Umständlichkeit des
überlieferten Wortlauts nicht nur der Würde des Moments Ausdruck verleihen,
sondern auch dem anspruchsvollen Ideal der Mitarbeit an freien Verhältnissen,
in die man sich hineinleben muss, ohne auf Anhieb alles zu verstehen. Die
Verteilungsprobleme des demokratischen Rechtsstaats betreffen nicht die Plätze
im Paradies und in der Hölle. Der Staat verspricht keine letzte Sicherheit und
verlangt daher auch keine letzte Treue. Man vollführt keinen Sprung des
Glaubens, um ein Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu
unterzeichnen. Die gravitätische Wendung bezeichnet die Sicherheitsvorkehrungen
einer beweglichen Gesellschaft, die sich über vorletzte Dinge verständigt,
damit sie in letzten Dingen nicht einig werden muss. Zur Grundordnung gehört
auch, dass jeder die Freiheit hat, eigene Gedanken über letzte Gründe und
beste Ordnungen zu vertreten. Außerdem eine private Sphäre persönlicher
Vorstellungen, die öffentlichen Maßstäben allgemeiner Vernünftigkeit nicht
genügen müssen. Wenn der Staat hier zu viel richten oder auch nur zu viel
wissen will, übernimmt er sich, weckt er die Erinnerung an den Tugendterror des
Bettelmönchs Savonarola oder des Kirchenfeindes Robespierre.
     
    Eine Intuition des Gemeinsinns
     
    Von allen Seiten und aus allen politischen Lagern wurde der
badenwürttembergische Gesprächsfaden kritisiert, auch von Leuten, die wünschen,
dass die Politik mehr für die Toleranz gegenüber Homosexuellen tut, oder
fürchten, dass das Ideal des vom göttlichen Recht geleiteten Staates auch
Muslimen, die Gewalt ablehnen, das Leben in der Demokratie schwermacht.
Baden-Württemberg hatte eine Grenze überschritten. Im Protest brachte sich eine
Intuition des Gemeinsinns zur Geltung, die Kardinal Lehmann, der damalige
Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, in Worte fasste. Die allermeisten
Menschen verspürten eine grundsätzliche Abneigung dagegen, von den Behörden
über ihr Meinen, Denken und Empfinden ausgefragt zu werden. «Staatliche
Gewissensprüfungen haben sich noch nie bewährt.» Die Millionen Muslime in
Deutschland könnten den Fragebogen als «kollektive Misstrauenserklärung
verstehen».
    Am Ende der Geschichte des Muslim-Tests, mag man meinen,
hatte die Zivilgesellschaft auf ganzer Linie gesiegt. Zwei Wochen nach Einführung
des Fragenkatalogs hatte das Land eine stillschweigend korrigierte
Gebrauchsanweisung nachgeschoben, die dem Vater des Unternehmens alle Freuden
raubte. Zwar wurde der Leitfaden nach Greils Pensionierung nicht aus dem
Verkehr gezogen, aber die Überarbeitungen dürften bewirkt haben, dass die von
den Praktikern in den Rathäusern von Anfang an vorgetragenen Bedenken
durchschlugen. Greils Wunsch, seinen Eintritt in den Ruhestand hinauszuschieben,
wurde vom Dienstherrn nicht erfüllt. Er musste gehen. Es bleibt verstörend,
dass die Muslime auf dem Verwaltungsweg ohne weiteres zu einer Klasse von
Verdächtigen erklärt

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