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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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Fall Ammar verschweigen. Bei den
«älteren Gesetzeslehrern» bleibt die Erlaubnis zur Verstellung laut Goldziher
«ein Zugeständnis für die Schwächeren». Wer sich wie Ammar verhält, lässt die
Gelegenheit aus, die Feinde durch die Demonstration der aus dem wahren Glauben
fließenden Seelenstärke zu ärgern. Eine liberale Religionsgeschichte, die in
der Verinnerlichung der Gebote ein Indiz der Rationalisierung sieht, wird als
Fortschritt verbuchen, dass Gott die Taten der Menschen nach der Intention
beurteile und daher mehr auf das Herz gebe als auf die Zunge. Die Islamkritik
reproduziert das Klischee des verschlagenen Orientalen, wenn sie die Erlaubnis
zur lebensrettenden Gottesleugnung als islamisches Sondergut ausgibt. Goldziher
gebrauchte mit Selbstverständlichkeit einen Begriff der christlichen moraltheologischen
Diskussion: Spätere Rechtsgelehrte hätten es «als erforderlich bezeichnet, die
Verleugnung des Bekenntnisses in solchen Notfällen möglichst durch
doppelsinnige Worte auszudrücken, die eine reservatio mentalis ermöglichen».
    Der «Brockhaus» von 1839 definiert: «Reservatio mentalis
heißt ein heimlicher, innerer oder Gedankenvorbehalt bei der Leistung von
Versprechen und Eiden, denen man dadurch in seinen Gedanken eine verschiedene
Bedeutung von der unterlegt, welche Andere in dem schriftlich oder mündlich
gegebenen Versprechen finden können.» Es handelt sich nicht um eine Geheimlehre:
«Obgleich dies unter allen Umständen eine betrügerische und unmoralische
Handlung ist, haben die Jesuiten dennoch dieselbe als in vielen Fällen
anwendbar erklärt, indem sie, um angeblich guter Zwecke willen, jedes Mittel
zulässig betrachten.» Das Konversationslexikon ergeht sich in Konfessionspolemik,
weil die angebliche Lehre der Jesuiten der Konversation den moralischen Boden
entzieht: «Hiernach wäre denn niemand sicher, dass sie bei einem Versprechen
sich innerlich nicht grade das Gegenteil von dem vornehmen und nach dieser
Meinung beschwüren, was sie laut aussprechen und wozu sie sich dann nicht als
verpflichtet ansehen.» Der «Meyers» von 1888 legt im Artikel «Jesuiten» unter
der Dachzeile «Wachsender Einfluss des Jesuitismus in der Gegenwart» dar,
«jeder Überschreitung innerlicher Moralität» werde «dadurch Tür und Tor
geöffnet», dass die Jesuiten lehrten, «der sittliche Charakter jeder einzelnen
Handlung werde durch die dabei obwaltende Absicht bestimmt, so dass unter
Umständen die Übertretung sämtlicher Gebote gerechtfertigt erscheint».
Insbesondere werde «jede Wahrhaftigkeit des Verkehrs dadurch zerstört, dass bei
Eiden, Versprechungen oder Zeugnissen ein geheimer Vorbehalt (reservatio
mentalis) und Zweideutigkeit des Ausdrucks als zulässig gelten».
    Von einer «wachsenden Empörung» weiß das Lexikon zu berichten,
«welche diese in Predigt, Beichtstuhl und Jugendunterricht verbreiteten
Grundsätze allmählich hervorriefen». Mit dem Einfluss des Jesuitismus wuchs die
Empörung: Das Jesuitengesetz von 1872, das den Orden vom Gebiet des Deutschen
Reiches ausschloss und die Ausweisung ausländischer Jesuiten erlaubte, war in
dieser Geschichtssicht eine vom normalen moralischen Empfinden gebotene
Notwehrmaßnahme. Noch der «Meyers» von 1907 versichert, das Verbotsgesetz
werde «von der geistigen Elite des deutschen Volkes» getragen, «und zwar der
protestantischen wie der katholischen». Die Legende von den Jesuiten als den
Feinden des bürgerlichen Lebens, die Beichtkindern und Schülern einflüstern,
dass sie sich an Treu und Glauben nicht zu halten hätten, verschaffte denen,
die sie glaubten und verbreiteten, ein gutes Gewissen. Dagegen entrollt Fritz
Mauthner im Artikel «Eid» seines sprachkritischen «Wörterbuchs der Philosophie»
ein Unsittenbild der bürgerlichen Gesellschaft: Die Rechtssprache eröffnet
Spielräume der Vieldeutigkeit, mit deren Nutzung sie rechnet. Längst ist in der
Rechtspraxis die förmliche Bekräftigung der Wahrheit einer Aussage ein Vehikel
zur Verbreitung einer Unwahrheit geworden. «Die reservatio
mentalis ist also keine Erfindung der Jesuiten.»
    Nur im Schiitentum wurde das Prinzip der Taqiya nach
Goldzihers Darstellung zur Doktrin entwickelt. Im innerislamischen Konfessionskrieg
hatten es die Getreuen der Familie Alis, des Schwiegersohns des Propheten, fast
überall mit sunnitischen Mehrheiten zu tun. Die Erlaubnis, sich zum Schein zur
herrschenden Irrlehre zu bekennen, war die ethische Seite der

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