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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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der kühlen Bemerkung
verharmlost, Sarrazin hätte sich «ein bisschen tischfeiner» ausdrücken sollen.
    Mit untadeliger Feinheit formulierte der
«Bild»-Kommentator Ernst Elitz, der den Lesern unter jedem seiner Texte als
Gründungsintendant des Deutschlandradios vorgestellt wird, in seinem Kommentar
zur Bremer Rede des Bundespräsidenten Bedingungen, die die muslimischen Bürger
zu erfüllen hätten, wenn sie als Mitbürger behandelt werden wollten. Er
bemühte sogar die modernste Variante des idealistischen Gedankens der
wechselseitigen Anerkennung, den Begriff der Gerechtigkeit als Fairness.
«Integration braucht nicht nur feierliche, sondern auch deutliche Worte: Wer in
deutschen Moscheen betet, muss sich für den Bau christlicher Kirchen auch dort
einsetzen, wo bisher nur Minarette erlaubt sind. Wer den Koran in der U-Bahn
liest, muss dafür kämpfen, dass in islamischen Staaten der Verkauf von Bibeln
und der Übertritt zum christlichen Glauben erlaubt wird. Das verlangt schon die
Fairness.» Die islamkritische Lieblingsidee, die hiesige Religionsfreiheit für
Muslime auf das Niveau der Religionsfreiheit für Christen in muslimischen
Ländern zu senken, operiert mit der Logik der Wechselseitigkeit in der Version
des Kriegsvölkerrechts. Friedliche Muslime, die als Muslime verpflichtet sein
sollen, alles dagegen zu unternehmen, dass es noch unfriedliche Spielarten des
Islam auf der Welt gibt, werden als Geiseln genommen. Wer in der U-Bahn den
Koran liest, ohne bei Betreten des Wagens bei den Mitfahrern Geld für verfolgte
Christen gesammelt zu haben, muss mit Repressalien rechnen.
    Nach Ansicht weiter Teile des bürgerlichen Publikums,
darunter auch sehr vieler eingefleischter Anhänger der Regierungsparteien, hätte
in der überraschend nötig gewordenen Bundespräsidentenwahl des Jahres 2o1o
nicht Christian Wulff siegen sollen, sondern der Oppositionskandidat Joachim
Gauck. Ihm wurde zugetraut, in der repräsentativen Rede eine in kritischen
Lebenslagen bewährte moralische Unterscheidungskraft zur Geltung zu bringen. Im
Rahmen seines im «Tagesspiegel» aufgezeichneten Jahresrückblicks verlieh der
Gegenpräsident dem Autor von «Deutschland schafft sich ab» ein virtuelles
Bundesverdienstkreuz. Mut habe Sarrazin bewiesen. «Er hat über ein Problem, das
in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.» Aus der
Sarrazin-Legende, die nach dem «Lettre»-Interview von der Urgemeinde seiner
Anhänger verbreitet wurde, war durch die Resonanz auf das Buch der
Sarrazin-Mythos geworden, der auch dort Glauben fand, wo man Sympathie mit
seinem Standpunkt nicht von vornherein erwartet hätte. Inwiefern hatte
Sarrazin, wie der Mythos behauptet, offener geredet als die maßgeblichen
Politiker? Der Bildungsrückstand türkischer Familien; der Teufelskreis von
äußerer Chancenlosigkeit und innerer Fremdheit; das Syndrom materieller
Abhängigkeit von einem Staat, mit dessen Leistungen eine private Gegenwelt
finanziert wird; das Umkippen der Einzugsgebiete bestimmter Schulen in
Auszugsgebiete, die Aufstiegswillige um jeden Preis verlassen wollen - das
sind die auch an höchster Stelle ebenso deutlich wie häufig benannten Themen
der Integrationspolitik. Neu war, dass ein hochrangiger Amtsträger und gut
eingeführter Stichwortproduzent den Personen, auf die die
integrationspolitischen Maßnahmen zielen, offen seine Verachtung bekundete.
    In der «Bild am Sonntag» sagte Sarrazin: «Wer seine
Töchter zum Kopftuchtragen zwingt und sie an Cousins in Anatolien verheiratet,
hat in Deutschland nichts zu suchen. Wer als Familienoberhaupt Deutsch spricht,
seinen Clan aber daran hindert, unsere Sprache zu erlernen, hat in Deutschland
nichts zu suchen. Wer lieber türkisches Fernsehen sieht als deutsches, weil er
mit unserer Sprache auf Kriegsfuß steht, hat in Deutschland nichts zu suchen.»
Millionen Bewohnern des Landes zu sagen, es sei Blindheit und Fahrlässigkeit
gewesen, ihnen überhaupt Ansiedlung und Familiengründung zu gestatten - das ist
keine Problembeschreibung, sondern ein Ausweichen vor den Problemen in die
Wunschwelt eine alternativen Geschichte, ein als zynische Illusionslosigkeit
getarnter Eskapismus. Sarrazin will nur die historischen Tatsachen und die
Naturgesetze sprechen lassen. Es ist charakteristisch für den paranoiden Stil,
dass der Autor von «Deutschland schafft sich ab» im Gestus des nackten
Positivismus phantastische Literatur produziert. Eine «Modellrechnung»

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