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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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da fängt es
doch schon an! Ein Deutscher würde da nicht mit Basecap oder Hut sitzen, weil
das einfach unverschämt ist.» Waldi (35) aus
Iserlohn stieß ins selbe Horn: «Es ist ein Zeichen für Unangepasstheit und
Intoleranz, in einer deutschen Sendung mit Kopftuch zu erscheinen und von
Integration zu sprechen.» Ein Sechzigjähriger gab bündig zu Protokoll: «Mich
ärgert es ungemein, dass diese türkische Dame mit Kopftuch da sitzt. Wir sind
Deutschland, und Deutschland ist kein islamisches Land.» Ein
Dreiundfünfzigjähriger nannte es Realsatire, mit einer Kopftuchträgerin über
das Kopftuch zu diskutieren, und fühlte sich durch den «grauen Armeemantel»
der Ditib-Abgesandten an das Raumschiff Enterprise erinnert. Ein mit vollem
Namen unterzeichnender Kommentator warf ihr vor, die Zuschauer mit dem
Kopftuch absichtlich zu provozieren: «Sie will das so, da sie weiß, dass sie
dadurch schon eine Ablehnung unserer deutschen Gesellschaft ausdrückt.»
Mehrfach wurde der Repräsentantin des mit dem türkischen Staatsislam
verbundenen Verbandes das Kopftuchverbot in der Türkei vorgehalten. Eine
Fünfundvierzigjährige berichtete von einem Wochenende in Berlin. Weder in der
Philharmonie noch in der Oper habe sie eine einzige Kopftuchträgerin gesehen.
«Sie kennen weder unsere Literatur, noch unsere Musik. Das sage ich aus
Erfahrung.»
    Volker (33) appellierte
an die deutsche Selbstachtung und wollte aus dem deutschen Engagement für
Menschenrechte in Afghanistan Schranken der Toleranz im Inland herleiten:
«Deutsche Soldaten sterben, damit muslimische Frauen ihr Kopftuch nicht mehr
tragen müssen - in Deutschland treten radikale Muslime im Fernsehen mit Kopftuch
auf.» Der Standard des guten Benehmens, dem die Muslime sich anpassen sollten,
hatte, soweit Volker sich erinnerte, in Deutschland schon immer gegolten: «Ich
musste in der Schule seitenweise Strafarbeiten schreiben, weil ich keinen
Anstand besaß und den Klassenraum im Winter mit Mütze betrat!!! Wir sollten
wieder Anstand in der Schule fordern.» Otto (48) sprach Frau Kilicarslan direkt an: «Was wollen Sie hier,
wenn Sie Ihr Kopftuch nicht abnehmen und sich nicht integrieren wollen?» Die
Kopftuchdebatte hat eine Verrohung des öffentlichen Lebens in Gang gesetzt, die
in den Moschee- und Sarrazin-Debatten weiter forciert wurde. In der
Verteidigung des Anstands gegen die Verhüllte, die man nicht einmal mehr auf
dem Fernsehschirm tolerieren will, vollendet sich die Perversion der guten
Sitten. Das Mobbing der Andersgekleideten wird als Akt der Selbstverteidigung
empfunden. Zwar haben die Politiker bei der Verabschiedung der Kopftuchgesetze
versichert, die Freiheit von Privatpersonen werde durch sie nicht
eingeschränkt. Aber wenn die «Gästebuch»-Autoren des Piasberg-Tribunals der
Deutschtürkin, die mit Kopftuch über Integration redete, einen offenkundigen
Selbstwiderspruch vorwarfen, nahmen sie genau das Argument auf, mit dem das
Stuttgarter Oberschulamt den ursprünglichen Ablehnungsbescheid gegen Fereshta
Ludin begründet hatte: Das Kopftuch sei «Ausdruck kultureller Abgrenzung».
     
    Die verharmloste Verachtung
     
    Thilo Sarrazin sagte im «Lettre»-Interview: «Ich muss
niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die
Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen
produziert.» Ein erschreckender Satz. Die klassische deutsche Philosophie seit
Fichte und Hegel hat den Staat, die Gesellschaft, das menschliche Leben
überhaupt auf den elementaren Vorgang der wechselseitigen Anerkennung der
Menschen gegründet. Dieses alltägliche Aha-Erlebnis auf Gegenseitigkeit
ersetzte die fiktiven Gesellschaftsverträge der älteren Staatslehre. Die
Anerkennung ist Erkenntnis und Erfahrung zugleich: Ich erkenne den anderen als
Adressaten von Pflichten und Träger von Rechten an, wie ich selbst einer sein
will. Der andere ist Person und nicht nur Fall, Hindernis und Gefahrenquelle.
Mit dieser Anerkennung ist noch keine Zuerkennung bestimmter Rechte, auf
Sozialleistungen oder Aufenthalt, verbunden. Genau diese absolute Anerkennung,
die einfachste Achtung, hat Sarrazin siebzig Prozent der türkischen und
neunzig Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin ausdrücklich verweigert,
offensichtlich unbekümmert um die Tradition eines der ganz wenigen wirklichen
Leitbegriffe der deutschen Kultur. So schafft Deutschland sich ab. Leider hat
Helmut Schmidt diesen eisigen Ton der Verachtung mit

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