Bahners, Patrick
stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Irmer antwortete Bouffier mit
der Bitte um Verständnis für die von den Medien heraufgerufenen Angstzustände
der Bürger. Wie soll man das denn verstehen?
Gegenöffentlichkeit in Mittelhessen
Der in Wetzlar direkt gewählte Abgeordnete Hans-Jürgen
Irmer ist Verleger, Herausgeber, Anzeigenleiter und Hauptautor des monatlich
erscheinenden Gratisblatts «Wetzlar Kurier», das an alle Haushalte im
Lahn-Dill-Kreis verteilt wird. Das Blatt wurde 1982 als CDU-Zeitung gegründet,
um das lokale Monopol der «Wetzlarer Neuen Zeitung» (WNZ) zu brechen, und ging
1990 in Irmers Eigentum über. Der «Kurier» verfolgt das publizistische Ziel,
«Menschen über das hinaus zu informieren, was üblicherweise in den
Tageszeitungen geschrieben steht». Die Konkurrenz von der «Wetzlarer Neuen Zeitung»,
die ihre Geschichte ins Jahr 1872 zurückverfolgen kann und bis heute in
Familienbesitz ist, ist in der Weltsicht des «Kuriers» nur der mittelhessische
Ausläufer eines journalistischen Systems, in dem über «Themen, die die Menschen
berühren», gerade nicht geschrieben wird. Der «Kurier» kümmert sich daher nicht
nur um lokale Skandale, sondern «auch um die sogenannten großen Themen wie
Innere Sicherheit, Asylmissbrauch, Ausländerkriminalität, Probleme rund um den
Islam». So gibt es die Rubrik «Neues aus der islamischen Welt» mit
Schauernachrichten aus Weltregionen weit, weit weg von den beschaulichen Ufern
von Lahn und Dill. Die Irmersche Zeitung, bieder aufgemacht und konservativ
bebildert, will Organ einer Gegenöffentlichkeit im umfassenden Sinne sein:
«Wir verstehen uns als Sprachrohr derjenigen, die in der aktuellen
Berichterstattung politisch zu kurz kommen, denn die sogenannte Political
correctness es den Gutmenschen, die Probleme aufzuarbeiten
und aufzugreifen, die viele Menschen Tag für Tag beschäftigen.»
Die Kommentare des «Kuriers» waren über Jahre hinweg immer
wieder Gegenstand von Landtagsdebatten. Als Irmer sich 2005 wegen des Vortrags
vor einer Burschenschaft rechtfertigen musste, aus der Führungskader der NPD
hervorgegangen waren, charakterisierte ihn die «Frankfurter Allgemeine Zeitung»
als Erzkonservativen, der «eine ausgeprägte Neigung zu Grenzgängen und
Grenzüberschreitungen nach rechts» pflege. Mit Verwunderung vermerkte die der Kollaboration
mit den Mächten der politischen Korrektheit einigermaßen unverdächtige
Tageszeitung, dass die CDU glaube, «sich einen wie Irmer, der in seinem
gern gegen politisch Andersdenkende, Homosexuelle,
Ausländer und andere Minderheiten hetzt, an prominenter Stelle leisten zu
können». An Irmer, der 2003 zum stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden
gewählt worden war, hing die Einstimmenmehrheit der damaligen Regierung Koch.
Als Entschuldigung für die Duldung der Ausfälle Irmers durch seine
Parteifreunde wollte die F.A.Z. diese Rechnung nicht gelten lassen: «Da Irmer
nicht erst seit kurzem und immer ungenierter seine rechten Wege geht, stellt
sich allmählich doch die Frage, ob die CDU vielleicht gegen Irmer und sein Tun
gar nichts unternehmen will.»
Erst fünf Jahre später fand sich die mittlerweile wieder
mit der FDP regierende hessische CDU zum ersten Mal dazu bereit, im Landtag
einer Missbilligung von Äußerungen Irmers zuzustimmen. Nachdem Christian Wulff
als erster Ministerpräsident in der Geschichte der Bundesrepublik ein
muslimisches Kabinettsmitglied ernannt hatte, erteilte ihm Irmer in der
«Wetzlarer Neuen Zeitung» den Rat, sich künftig «Gedanken zu machen, wen man
beruft». Als «Fehlentscheidung» bewertete Irmer die Ernennung der Hamburger
Juristin Aygül Özkan zur Sozialministerin Niedersachsens nicht nur wegen ihrer
Ablehnung von Kruzifixen in der Schule, sondern auch wegen ihrer Abweichung von
der Parteilinie in der Frage des Beitritts der Türkei zur Europäischen Union.
«So eine Denke bedeutet für mich, dass sie nicht in der Lage ist, deutsche
Interessen wahrzunehmen.» Wegen der Aussicht auf eine Masseneinwanderung von
Türken nannte Irmer Beitrittsverhandlungen, in denen tatsächlich über einen
Beitritt verhandelt würde, «völlig unvorstellbar». Dass nach der
EU-Osterweiterung die damals schon einmal prophezeite demographische
Überflutung ausgeblieben sei, war für Irmer kein triftiger Einwand. Menschen
aus Polen oder anderen christlich geprägten Ländern seien in ihrer Heimat verwurzelt,
kämen nur vorübergehend in andere
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