Bahners, Patrick
veröffentlichte im «Focus» vom 11.
Oktober 2010 eine Replik auf Wulffs Rede zum 3. Oktober, der die Redaktion des
Magazins den Titel gab: «Es gibt eine christliche Leitkultur, Herr
Bundespräsident». Einer der vielen erstaunlichen Sätze des kurzen Textes ist
die Aussage, ohne eine «Klärung» der Fragen nach dem Verhältnis zu den
Menschenrechten und zum Rechtsstaat, nach der Zwangsehe, nach der kritischen
Interpretation des Korans und nach der Gewalt gegen Ungläubige könne «eine
Gleichstellung des Islam derzeit schon gar nicht in Betracht gezogen werden».
Wahrscheinlich bezog sich der Bischof darauf, dass in Deutschland (im
Unterschied zu Österreich) keine muslimische Gemeinschaft als Körperschaft des
öffentlichen Rechts anerkannt ist. Obwohl aus diesem Status vielfältige Rechte
fließen, von der Erhebung von Kirchensteuern bis zur Mitsprache in
Rundfunkräten, sind Glaubensgemeinschaften ohne öffentlich-rechtlichen
Körperschaftsstatus aber keine Religionen minderen Rangs. Einige Religionen
streben den Status gar nicht an, was nicht heißt, dass sie sich mit einer
schlechteren Rechtsstellung abfinden.
Außerdem geht der vom Bischof angemeldete Klärungsbedarf
weit über die Fragen hinaus, die gemäß dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts
zu den Zeugen Jehovas aus dem Jahr 2000 vor der Verleihung des Status zu beantworten
sind. So verpflichtet der Staat die Zeugen nicht zur kritischen Interpretation
der Bibel. Ein solches Ansinnen wäre ein Anschlag auf die Existenz dieser
Religionsgemeinschaft, deren eschatologische Verkündigung auf einer wörtlichen
Auslegung der Bibel beruht. Auch das katholische Lehramt brauchte Zeit, um sich
zur historisch-kritischen Methode in ein Verhältnis zu setzen, das bis heute
nicht unkritisch ist. Als Thomas de Maiziere, Wolfgang Schäubles Nachfolger
als Bundesinnenminister, nach der Wulff-Rede verlauten ließ, er sehe «auf
absehbare Zeit» keine Gleichstellung von Christentum und Islam in Deutschland,
konnte sich das nicht auf Rechtsverhältnisse beziehen, denen doch das
spezielle Augenmerk des Verfassungsministers gelten sollte. Vielmehr sprach er
dem «christlich-jüdischen Religionsverständnis» eine Art kultureller Hegemonie
bis auf weiteres zu. Doch gerade weil die Christen selbst sich der Ausstrahlungswirkung
ihres Glaubens auf die allgemeine Kultur keineswegs mehr sicher sind, weckt
die Vorstellung Unbehagen, Muslimverbände könnten demnächst kraft des
Körperschaftsstatus ihre Belange bei Bauleitplanung und Denkmalschutz zur
Geltung bringen oder öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse für Imame
begründen.
Eindeutig von rechtlichen Schranken sprach
CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt, als er SPD und Grünen attestierte, mit
der Forderung nach konsequenter Gleichbehandlung der Muslime einen
«fundamentalen Irrweg» zu beschreiten. «Der Islam ist mit gutem Grund keine den
christlichen Kirchen gleichgestellte Religionsgemeinschaft, und es wäre ein
fataler Kurzschluss, damit die christlich-jüdische Prägung unserer Leitkultur
in Frage zu stellen. Eine Gleichstellung des Islam mit den christlichen
Kirchen kann nur fordern, wer vom geltenden Verfassungsrecht keine Ahnung hat
und wer sowieso die Kreuze aus den Klassenzimmern entfernen und muslimische
Feiertage einführen will.» Dobrindt erfand ein Zweiklassenrecht, um religiöse
Diskriminierung ausdrücklich zum Programm zu erheben. Wenn Verfassungsschützer
nach dem geflügelten Wort des CSU-Innenministers Hermann Höcherl nicht den
ganzen Tag mit dem Grundgesetz unter dem Arm herumlaufen können, gilt für
CSU-Generalsekretäre offenbar, dass sie den ganzen Tag das Grundgesetz vor sich
her tragen müssen und daher nicht darin lesen dürfen. Es gibt den Analphabetismus
aus Bigotterie: Der Diplom-Soziologe Dobrindt ist auf dem Niveau des Muslims,
der bei der Ehre seiner Schwester schwört, dass die Kopftuchpflicht im Koran
steht. Ein Politiker bekommt den Beifall, den er verdient: Aus dem Parteivolk
wurde Dobrindt zugerufen, es gebe ja auch in keinem islamischen Land eine
Gleichstellung der Kirchen. Geschweige denn christliche Feiertage!
Die religiöse Fragmentierung der Gesellschaft macht es
unwahrscheinlich, dass je noch einmal ein arbeitsfreier Tag mit Rücksicht auf
den liturgischen Kalender einer bestimmten Konfession eingeführt werden könnte.
Der Hass, den Christian Ströbele gleichwohl auf sich zog, als er 2004 die Idee
einer multikulturellen Öffnung des republikanischen Festkalenders
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