Bahners, Patrick
die
Lehrerin vereidigt wird und in deren Geist sie die Schüler zu erziehen hat:
Dann wäre es befremdend. Eine solche Diskrepanz zwischen dem Grundgesetz und
der Religiosität, deren Ausdruck das Kopftuch ist, wird von den Autoren des
Schriftsatzes offenkundig vorausgesetzt, aber auch nicht ansatzweise
begründet. Es geht aus dem Grundgesetz nicht hervor, ob eine Frau sich in der
Öffentlichkeit verschleiern soll oder nicht. Der neutrale Staat, als dessen
Repräsentantin Fereshta Ludin angeblich nicht geeignet war, ist gerade in
solchen Fragen neutral. In der Sicht des Grundgesetzes ist die kopftuchtragende
Frau keine Fremde, sondern eine ebensolche Bürgerin wie ihre unverschleierte
Nachbarin oder Kollegin.
Wiederkehr des Aberglaubens
Das Schulgesetz des Landes Baden-Württemberg verbietet in
seiner zum Zweck des Kopftuchverbots geänderten Fassung Lehrern ein «äußeres
Verhalten», das «bei Schülern oder Eltern den Eindruck hervorrufen kann, dass
eine Lehrkraft gegen die Menschenwürde, die Gleichberechtigung der Menschen
nach Artikel 3 des
Grundgesetzes, die Freiheitsgrundrechte oder die freiheitlich-demokratische
Grundordnung auftritt». Diese Erweiterung der Treuepflicht des Beamten sprengt
die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums. Gemäß Paragraph 53 des Bundesbeamtengesetzes müssen sich Beamte «durch ihr
gesamtes Verhalten zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne
des Grundgesetzes bekennen und für deren Erhaltung eintreten». Aber die badenwürttembergische
Lehrerin darf die freiheitlich-demokratische Grundordnung nicht nur nicht bekämpfen,
darf nicht nur nicht mit Ansichten auftreten, die auf die Aufhebung dieser
Grundordnung hinauslaufen, sondern muss schon den Eindruck dieses Auftretens
vermeiden. Als Treuepflicht ist eine solche Verpflichtung gar nicht mehr
anzusprechen, da die Beamtin die Pflichterfüllung auch beim besten Willen nicht
garantieren kann. Schon der mögliche Eindruck zeugt gegen sie, das heißt in der
Wirklichkeit: der faktische, von jeder Belegpflicht entlastete Verdacht.
Der Rechtsstaat fällt damit in die abergläubische
Denkweise älterer Rechtsepochen zurück. Es kommt auf eine rituelle Korrektheit
des äußeren Verhaltens an, die gar nicht in der Hand desjenigen liegt, von dem
sie gefordert wird. Aber welches Verhalten korrekt ist, das ergibt sich nicht
wie einst aus alten Regelbüchern oder unvordenklichem Herkommen, sondern wird
durch panische Eindrücke bestimmt, Reflexe einer in künstliche Erregung
versetzten Öffentlichkeit. An die Stelle der Erfahrungen, die man mit einer
kopftuchtragenden Lehrerin machen könnte, tritt das Gerücht, das man im
Internet über Kopftuchträgerinnen gelesen hat. Die böse Ahnung infiltriert die
Alltagskommunikation; Vertrauen wird suspendiert, Solidarität bricht zusammen;
die zur Fremden gemachte Außenseiterin kann den schlimmen Eindruck nicht
korrigieren - das Muster der Hexenverfolgung.
Nach Annette Schavans Schulgesetz ist nicht nur
unbeachtlich, wie die Lehrerin selbst ihr inkriminiertes Verhalten verstanden
wissen möchte. Es ist ihr auch verwehrt, den verfänglichen Eindruck durch ihr
sonstiges Verhalten zu widerlegen. Nach jahrelanger Kopftuchdebatte ist der
Eindruck verbreitet, die verschleiert auftretende Muslimin demonstriere gegen
gleiche Rechte für Mann und Frau. Aber der Akademikerin, die sich für den
Staatsdienst bewirbt, kann man nicht unterstellen, sie propagiere mit dem
Kopftuch, das sie beim Bewerbungsgespräch trägt, die Verbannung der Frau in
die häusliche Sphäre - es sei denn, man hält sie für einen ferngesteuerten
Roboter. Wie Gabriele Britz bemerkt hat, die Gießener Staatsrechtslehrerin, die
am 17. Dezember 2010 zur Richterin am Ersten Senat des Bundesverfassungsgerichts
gewählt wurde, stehen gerade jene Frauen, die mit oder trotz Kopftuch in den
Staatsdienst eintreten wollen, für ein emanzipiertes Frauenbild. Selbst bei
Thilo Sarrazin liest man, dass die «besonders streng Verschleierten» meist
«recht gebildet» und «oft die Fittesten in der deutschen Sprache» seien. Das
steht im Kleingedruckten, in einem Referat der Dienstalltagserfahrungen des
Neuköllner Bürgermeisters Buschkowsky. Sarrazin gibt dem Befund allerdings sogleich
eine weder erläuterte noch begründete dogmatisch islamkritische Deutung: Der
Bildungseifer der Frömmsten «entspricht der islamischen Einheit von Kirche und
Staat». Die Richter des Mannheimer Verwaltungsgerichtshofs, die den
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