Bahners, Patrick
Schülern
nicht zutrauen wollten, die Lehrerin mit Kopftuch als Frau zu sehen, die ihre
gleichen Rechte wahrnimmt, haben nach Frau Britz ihr eigenes Fremdheitsgefühl
auf die Schüler projiziert. «Gerade die Schüler haben es jedoch am leichtesten,
am Beispiel ihrer Lehrerin zu sehen, dass sich islamische Bekleidung und
emanzipiertes Leben nicht ausschließen.»
Auch ohne Rücksicht auf den mutmaßlichen Sinngehalt des
Kopftuchs machte das «nicht zur Disposition stehende staatliche Neutralitätsgebot»
nach den Darlegungen des Bundesinnenministeriums im Karlsruher Verfahren «den
Verzicht auf das religiöse Symbol» zur Pflicht. Das Tragen des Kopftuchs im
Unterricht sei der Beweis «fehlender Neutralität der Lehrkraft». In diesem
Kurzschluss verrät sich ein Mangel an soziologischer Vorstellungskraft. Das
Ministerium beschreibt den Beamten als Personifikation des Staates. Dabei sind
die Autoren des Schriftsatzes selbst Beamte, die aus Erfahrung wissen müssten,
dass selbst der treueste Staatsdiener nicht mit dem Staat verschmilzt, sondern
Person bleibt - auch während der Dienstzeit. Wenn den Staat, der keine Religion
bevorzugt, nur ein Beamter vertreten dürfte, der die Gewähr bietet, dass in
seinem Alltagsverhalten seine Religionszugehörigkeit nie sichtbar wird, dann
könnten Beamte nur aus dem Reservoir der Konfessionslosen und Agnostiker
rekrutiert werden. Ein solches Corps einer säkularen Elite wäre das türkische
Modell - und alles andere als neutral. Der neutrale Staat bringt sich gerade
darin zur Darstellung, dass seine Beamten verschiedenen Konfessionen angehören.
Im Schuldienst ist das Gebot der Selbstzurücknahme
zweifellos besonders wichtig. Der Lehrer hat es mit Personen als Personen zu
tun, ja, seine Aufgabe ist nichts anderes als diese Personen zu Personen zu
machen, sie in ihrer Persönlichkeitsbildung zu fördern. In der vom Oberschulamt
ausgearbeiteten Stellungnahme des Landes zur Verfassungsbeschwerde von
Fereshta Ludin steht das Postulat, die Neutralität des Staates müsse sich «in
der Person des Lehrers erweisen». Die pädagogische Situation ist aber verkannt,
wenn man meint, der Lehrer müsse seine Persönlichkeit ausradieren. Der
Düsseldorfer Staatsrechtler Martin Morlok und sein Mitarbeiter Julian Krüper
bringen in ihrer Rezension der Kopftuch-Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts
die Sache auf den Punkt: «Nicht nur in Person unterrichtet die Lehrerin,
sondern auch als Person.» Die Zulassung der Sichtbarkeit vielfältiger
religiöser Lebensentwürfe hat nach Gabriele Britz geradezu den Vorzug, dass sie
die «Fiktion einer gänzlich neutralen Lehrperson» aus der Welt schafft. «So
verstanden hätte das Neutralitätsargument für Frau Ludin gesprochen.»
Die vergessenen Schülerinnen
Die eklatanteste Lücke in der Argumentation, die das
Bundesinnenministerium in Karlsruhe vortrug, ist verborgen unter dem
bestimmten Artikel in der Formulierung, «die Schüler» würden mit «einer fremden
Religiosität» konfrontiert. An kopftuchtragende Hauptschülerinnen, an
Grundschüler, denen das Kopftuch vertraut ist, weil ihre Mutter eines trägt,
ist überhaupt nicht gedacht! Und das im Schriftsatz der Bundesregierung, die
der Opposition vorwarf, die Realität des Einwanderungslandes nicht sehen zu
wollen! Was bedeutet das Kopftuch in der Schule? Wenn man sich darüber Gedanken
macht, muss man bei der Reziprozität ansetzen. Schule, das sind immer Schüler
und Schüler, Schüler und Lehrer. Es gibt Schülerinnen ohne Kopftuch und
Schülerinnen mit Kopftuch. Warum soll es nur Lehrerinnen ohne Kopftuch geben?
Wie lernt man als Person unter Personen, mit Personen, von Personen? Indem man
mitbekommt, dass die eigene Ansicht, Einstellung und Überzeugung nicht die
einzige ist, und sich dann überlegt, wie man das verstehen soll. Man versucht
es zu verstehen, indem man in Gedanken die Rolle tauscht. Ich hätte auch
Klavierstunden nehmen können. Ich sollte vielleicht auch wieder in die Kirche
gehen.
Das Sondervotum leitet aus dem Erziehungsrecht der Eltern
nach Artikel 6 des
Grundgesetzes ab, dass sie «für falsch empfundene Glaubensüberzeugungen
grundsätzlich von ihren Kindern fernhalten können». Das müsste dann auch für
Eltern gelten, die aus Glaubensgründen davon überzeugt sind, dass die Frau
sich in der Öffentlichkeit zu verhüllen hat. Was ist mit der Lehrerin, die
nicht verschweigt und nicht verschweigen muss, dass sie Muslimin ist, aber kein
Kopftuch trägt?
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