Bahners, Patrick
Rechtsstaat schlechthin fundamentale
Gleichheit der Rechte der Bürgerin und des Bürgers wird von den Befürwortern
der Kopftuchverbote tendenziell nicht mehr als rechtlicher Rahmen verstanden,
als Gebot der Gleichbehandlung, sondern als Auftrag, Verhältnisse tatsächlicher
Gleichheit herzustellen. Frauen und Männer sollen nicht nur gleiche Rechte
haben, sondern auch den gleichen Gebrauch von diesen Rechten machen. Alle
privaten Arrangements, die noch zwischen einer männlichen und einer weiblichen
Sphäre der Aktivität unterscheiden, sind dann suspekt, auch wenn sie auf freier
Vereinbarung beruhen. Gabriele Britz gibt zu bedenken, zwar verpflichte der
zweite Absatz des dritten Grundgesetzartikels den Staat ausdrücklich, die
Gleichberechtigung von Frau und Mann zu fördern. «Dies ermöglicht jedoch
grundsätzlich nicht, eine Frau gegen ihren Willen zu zwingen, dem Bild einer
emanzipierten Frau gerecht zu werden. Es ist keiner Frau verwehrt, sich -
zumal aus religiösen Motiven - für die Einnahme einer traditionellen Frauenrolle
zu entscheiden.» Frau Britz weist auf christliche Lehrerinnen hin, die halbtags
arbeiten, um ihrem Mann die Karriere zu ermöglichen, und dadurch die Einlösung
der Gleichstellungszielsetzung ebenfalls unvollendet lassen. «Kein Mensch käme
jedoch auf den Gedanken, hierin ein Verfassungsproblem zu sehen.»
Radikale Feministinnen verurteilen seit jeher das
Fortbestehen des bürgerlichen Modells der Ehe mit männlichem Ernährer in der
Epoche des Eherechts der strikten Gleichheit als Struktur der Unterdrückung.
Erfolg verspricht eine Kampagne gegen die Lebensentscheidungen und Präferenzen
großer Teile der Bevölkerung nicht. Anders beim Kopftuch: Hier ging es gegen
eine ohnehin misstrauisch beobachtete Minderheit. So konnte an der
kopftuchtragenden Lehrerin das Programm durchexerziert werden, dass Frauen
verboten werden soll, Aufgaben zu übernehmen, die als Aufgaben einer Frau beschrieben
werden. Der Geschlechterunterschied ist eine Naturtatsache der menschlichen
Erfahrungswelt, mit der sich schon Kinder auseinandersetzen. Die
Weltreligionen, die hinter den Einrichtungen der natürlichen Welt eine höhere
Absicht vermuten, haben sich auf diese Grundtatsache ihre Reime gemacht. Soll
nun jede religiöse Lehre, die Männern und Frauen unterschiedliche
Pflichtenkreise oder Berufungen zuweist, für verfassungswidrig erklärt werden -
obwohl die entsprechenden Gesetze oder Gebote in der durch das staatliche
Recht geordneten Welt natürlich nur den Status von ethischen Ratschlägen
haben, vergleichbar den von einer Schule der feministischen Philosophie aus der
psychologischen Forschung abgeleiteten Empfehlungen zur Kultivierung typisch
weiblicher Tugenden?
Der Kulturphilosoph Di Fabio spottet über den Umschlag der
sexuellen Revolution in den Linksviktorianismus «einer die Unterschiede
verdeckenden Kleider- und Verhaltensordnung». Der Rechtstheoretiker beschreibt
die Formierung der Gesellschaft durch Gleichheitsprogramme als Zerstörung der
Rechtsgleichheit: «Gleichheit ist kein Steigerungsprozess, der uns immer
ähnlichere Lebensbedingungen verspricht.» Er hält den Linksviktorianern ein
Zitat John Stuart Mills entgegen, des viktorianischen Klassikers des linken
Liberalismus. In seinem Essay «Über die Freiheit» hat der Religionskritiker,
Feminist und Theoretiker prophetischer Gesellschaftskritik den Anpassungsdruck
der öffentlichen Meinung analysiert: «Die Forderung, dass alle Menschen uns
gleichen sollen, wächst durch die Nahrung, die sie erhält. Wenn der Widerstand
wartet, bis das Leben nahezu auf einen gleichförmigen Typus gebracht ist, dann
wird man alle Abweichungen von diesem Typ als gottlos, unmoralisch, ja sogar
monströs und widernatürlich ansehen. Der Mensch gerät rasch außerstande,
Verschiedenartigkeit zu begreifen, wenn er einige Zeit ihren Anblick nicht
mehr gewohnt ist.»
Der Katholik Di Fabio erinnert daran, dass es vor gar
nicht langer Zeit noch christliche Eltern waren, die Sexualkunde und koedukativen
Sportunterricht ablehnten, warnt davor, den Einsatz staatlicher Gewalt zur
Erzwingung der Integration in einem Kulturkampf herbeizutrompeten, der auch
Gegenkräfte mobilisieren müsste, und hat seine eigenen Vorstellungen von
wirksamer Eigenwerbung im Kampf der Götter: «Vielleicht wäre die beste
Integrationsofferte das Wiedererstarken der christlichen Gemeinden und des
christlichen Lebensentwurfs, auch das Wiederaufleben von kulturpolitischen
Debatten
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