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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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Man liest gelegentlich, dass solche Lehrerinnen von muslimischen
Schülern wegen ihres Lebenswandels beschimpft werden. Diese Provokationen sind
nicht vom Recht auf negative Religionsfreiheit gedeckt. Ein höflicher
vorgebrachter Antrag von Elternseite, die Lehrerin möge sich entweder bedecken
oder aus der Klasse abgezogen werden, wäre ebenfalls aussichtslos. Was können
Eltern dann gemäß Artikel 6 von ihren
Kindern fernhalten? Nicht die abgelehnten Glaubensüberzeugungen als solche,
sondern nur deren missionarischen Einfluss. Die Einladung zur Nachahmung, die
von jeder öffentlichen Glaubenspflichterfüllung und also auch vom Kopftuch der
Lehrerin ausgehen kann, ist das stärkste Argument für eine pragmatische Lösung
mit Abstufungen nach Alter der Schüler und Schulform. Über das Pragmatische
kommt man hier aber nicht hinaus. Denn die Meinung, dass es umgekehrt in jedem
einzelnen Fall unbedingt wünschenswert ist, wenn eine Lehrerin durch ihr
Vorbild eine Schülerin zum Ablegen des Kopftuchs motiviert, findet keinen Halt
in der Verfassung. Ein Elternrecht auf kopftuchlose Lehrerinnen, wie es das
Sondervotum konzipiert, wäre ein Recht darauf, von den Kindern die Information
fernzuhalten, dass es Frauen gibt, die sich aus religiöser Überzeugung
verschleiern, wenn sie aus dem Haus gehen. Ein solches Recht auf Unwissenheit
ist pädagogischer Unfug.
    Die Notwendigkeit eines Kopftuchverbots begründete das
Schily-Ministerium mit der Überlegung, die Glaubensfreiheit der Lehrerin ändere
«nichts daran, dass das von ihr verwendete Symbol dem Staat zuzurechnen» wäre.
Er kann sich dieses Symbol aber getrost zurechnen lassen. Denn es steht nicht,
wie vielleicht Beamte meinten, auf die das Titelbild des «Leviathan» von Thomas
Hobbes, der Staat als der künstliche Mensch, zu viel Eindruck gemacht hatte,
für den verschleierten Staat, sondern für den sich als tolerant ausweisenden
Staat, der in wohlwollender Neutralität die Freiheit zum Kopftuch ebenso garantiert
wie die Freiheit vom Kopftuch.
     
    Udo Di Fabios Pluralismus
     
    Die größte verpasste Chance markiert das Sondervotum der
drei auf Vorschlag der CDU ins Bundesverfassungsgericht gewählten Richter
Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff. In der Lust an der deutlichen, stellenweise
kulturkritisch zuspitzenden Formulierung zeigt sich die Handschrift des Bonner
Staatsrechtslehrers Udo Di Fabio. In seinem Buch «Die Kultur der Freiheit» aus
dem Jahr 2005 und in zahlreichen Reden und Essays hat Di Fabio eine Theorie der
kulturellen Ressourcen der modernen Gesellschaft skizziert, die er als Beitrag
zur Erneuerung der bürgerlichen politischen Philosophie versteht. Er wird von
der Sorge umgetrieben, dass die im Westen zu unumschränkter Herrschaft
gelangte individualistische Idee der Freiheit ihre eigenen moralischen Quellen
abgräbt. Die Funktionsapparate der Wirtschaft und Politik, Agenturen der
Standardisierung der Lebensverhältnisse, bleiben in Di Fabios Sicht angewiesen
auf die Verbände des gemeinschaftlichen Lebens, Vereine und Gewerkschaften,
die Familie als natürliche Gemeinschaft und die einem bestimmten Glauben
verpflichteten Religionsgesellschaften. Zwar hat sich auch die innere Ordnung
dieser Gemeinschaften durch die Macht der modernen Freiheitsidee verändert.
Aber das aller Bindungen ledige Individuum, das die gesparte Kirchensteuer für
die Pflegekosten im Alltag anlegt, kann für Di Fabio nicht der einzige Typ des
freien Menschen sein. Mit Gedankenfiguren der Theorie der sozialen Evolution
erinnert er an den liberalen Sinn der Trennung von Staat und Gesellschaft. Nur
aus der Koexistenz von Lebensentwürfen, die den Spielraum der Freiheit in je
eigener Weise nutzen, ergeben sich Wahlmöglichkeiten, Entwicklungschancen und
Lernerfolge. Im Voraus und von oben herab, aus dem vermeintlichen politischen
Zentrum der Gesellschaft oder im Namen einer von Intelligenzblättern
bewirtschafteten öffentlichen Vernunft, lässt sich nicht sicher beurteilen, wo
kulturelle Energiereserven mobilisiert werden können.
    Im Licht solcher Erwägungen tritt ein bedenklicher Zug der
Kopftuchdebatte hervor. Ihre Dynamik wurde bestimmt durch die Befürchtung,
dass gegen die Frau, die sich auf ihre Glaubensfreiheit berief, die
Gleichberechtigung der Geschlechter geschützt werden müsse. Dieser Wert, so
wird weithin vermutet, markiert die unüberbrückbare Differenz zwischen unserer
Kultur und dem Islam. Die in Artikel 3 des
Grundgesetzes garantierte, für den

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