Bahners, Patrick
innerhalb des allzu hermetisch geschlossenen westlichen
Kulturkreises.» Aber der Verfassungsrichter Di Fabio hat das Kopftuch der
Lehrerin verworfen, unter Berufung auf einen starken, vielleicht etwas zu pathetischen
Begriff der Beamtentreue.
Man kann das Sondervotum so verstehen, dass es nicht das
Kopftuch als solches abwerten will. Die anspruchsvollen Pflichten der
Durchgestaltung des Alltags, denen sich die fromme Muslimin unterwirft, sind
dann nicht vereinbar mit den anspruchsvollen Pflichten des Beamten: Religiöse
Virtuosen sind einfach nicht für das Beamtendasein prädestiniert, auch wenn
der Staatsdienst nach dem Bonner Staatsrechtler Josef Isensee seine eigene
«Askese» kennt. Aber die Richterminderheit bietet auch einprägsame Stichworte
für die Linie, die sich in den Ländergesetzen durchsetzen sollte und den
Verlauf späterer Islamdebatten vorzeichnete. Zum «objektiven Aussagegehalt»
des Kopftuchs gehört nach dem Sondervotum «die Betonung eines sittlichen
Unterschieds zwischen Frauen und Männern, die geeignet ist, Konflikte mit
denjenigen hervorzurufen, die ihrerseits die Gleichberechtigung,
Gleichwertigkeit und gesellschaftliche Gleichstellung von Frauen und Männern
(Art. 3 Abs. 2 GG)
als hohen ethischen Wert vertreten». Damit wird nahegelegt, dass der «sittliche
Unterschied» unterschiedlicher Verhaltensregeln für die Geschlechter auch eine
sittliche Hierarchie der Adressaten dieser Regeln ausdrückt. Das liegt aber
keineswegs auf der Hand. Hinter der Prämisse, die Unterscheidung müsse als
Unterordnung gemeint sein, steckt ein Mangel an sozialer Phantasie und
historischer Bildung. Wenn der Unwille, eine gleichberechtigungsfreundliche
Lesart des Kopftuchs auch nur in Erwägung zu ziehen, der Trägerin als
Friedensstörung zugerechnet wird, prämiert der Staat das Banausentum. In der
Schule!
Die aus der Tradition des deutschen Staatskirchenrechts
folgende Offenheit des Staates für die Religion darf laut Di Fabio und Kollegen
nicht soweit gehen, «solchen Symbolen Eingang in den Staatsdienst zu eröffnen,
die herrschende Wertmaßstäbe herausfordern und deshalb geeignet sind, Konflikte
zu verursachen». Hier bleibt - ein fataler Fehler, wenn es um
Grundrechtsschutz geht - offen, welche Art Herrschaft der Wertmaßstäbe gemeint
ist. Fordert das Kopftuch wirklich die sogenannte Wertordnung des Grundgesetzes
heraus? Oder nur faktisch dominante Vorstellungen vom angemessenen Auftreten
der Frau in der Öffentlichkeit?
Der Faschismusvergleich
Fereshta Ludins Aussage, sie fühle sich in ihrer Würde
verletzt, wenn sie sich mit unbedecktem Haupthaar in der Öffentlichkeit zeige,
wendet das Sondervotum gegen sie. «Auch wenn die Beschwerdeführerin sich nicht
ausdrücklich entsprechend eingelassen hat, so liegt doch im Umkehrschluss nahe,
dass eine Frau, die sich nicht verhüllt, sich ihrer Würde begibt. Eine solche
Unterscheidung ist objektiv geeignet, Wertkonflikte in der Schule
hervorzurufen.» Noch einmal tritt die Scheinlogik des Mutmaßens an die Stelle
belastbarer Beobachtungen. Frau Ludin wird unterstellt, sie müsse schlecht von
ihren unverschleierten Kolleginnen denken, obwohl es dafür in ihrem Verhalten
keine Indizien gab. Die Verhüllung schaffe ein System der Apartheid,
verbreiten die feministischen Kopftuchfeindinnen; ein Reinheitswahn grenze sich
von einer eingebildeten Unreinheit ab. Man muss aber nur mit der S-Bahn fahren,
um kopftuchtragenden Schülerinnen zu begegnen, die gegenüber kopftuchlosen
Mitschülerinnen keine Berührungsängste haben. Eine solche Szene steht
emblematisch am Anfang der Doktorarbeit Neda Keleks, die damals noch davor
warnte, die Konsistenzzwänge frommer Einstellungen zu überschätzen. Dass die
Bundesländer, die das Kopftuch verbieten, dadurch Wertkonflikte aus der Schule
herausgehalten haben, muss man bezweifeln. Die Lehrerin, die sich ohne Kopftuch
ihrer Würde beraubt fühlt, hat sich durch diese Empfindung disqualifiziert: Ein
Kopftuchverbot auf dieser Grundlage beglaubigt stillschweigend die Gegenthese
Alice Schwarzers, die Frau, die das Kopftuch überziehe, werfe ihre Würde weg.
Ich trage mein Kopftuch freiwillig: Eine Frau, die so
redet, kann man nicht widerlegen, sondern nur zum pathologischen Fall erklären.
Neda Kelek nimmt heute daran Anstoß, dass eine Kopftuchträgerin auf ihre
Geschlechtszugehörigkeit aufmerksam macht. «Auch wenn sie sich selbst dafür
entschieden hat, sagt sie damit, dass die Frauen Sexualwesen sind.»
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