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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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der
älteste Sohn eines Landbesitzers, der es als Hufschmied zu großem Wohlstand
gebracht hatte. Er besuchte das Gymnasium. Als «Prinz» seiner Familie nahm er
in die Großstadt die «Haltung» mit, «lieber andere arbeiten zu lassen als
selbst Hand anzulegen». So erlitt er schon auf halbem Weg in den fernen Westen
die Kränkung, die ihm dann noch einmal in Deutschland widerfuhr: «Es ging ihm
geschäftlich nicht gut, er hatte in Istanbul nicht wirklich Fuß fassen
können.» Er «arbeitete als Kaufmann» - mehr teilt Neda Kelek nicht mit. «Wir
wussten nicht, was er tagsüber tat. Er redete nicht darüber.» Jedenfalls hatte
er die Grundregel des Kaufmannsberufs nicht verinnerlicht. «Er gab mehr Geld
aus, als er einnahm. Bald fehlte es an allen Ecken und Enden.» Trotzdem suchte
er sich auch in Deutschland keinen Job in der Fabrik. Er war kein Arbeiter und
insofern gerade nicht typisch für die erste Generation der Gastarbeiter. Als
Geschäftsmann kam er nach Deutschland, und er machte im Hinterland von Hannover
eine so gute Figur, dass sich ihm sogleich die Türen der Honoratioren öffneten.
Als seine Töchter bei ihm einzogen, war er schon «mit dem Arzt und dem
Rechtsanwalt der Stadt befreundet». Er muss erstaunlich schnell Deutsch gelernt
haben.
    Das Drama des Migranten Duran Kelek ist die Geschichte
eines Statusverlusts. In der Heimat gehörte seine Familie zur Führungsschicht
der Republik. Als er für die Übersiedlung nach Istanbul die standesamtliche
Eintragung seiner Heirat benötigte, half ihm der Bürgermeister seiner
Heimatstadt, ein Onkel. Und als er zur Vorbereitung des Umzugs nach Deutschland
seine Töchter zu seinem Bruder schickte, arbeitete dieser mittlerweile auf dem
Rathaus, das ihm einen Dienstwagen mit Fahrer stellte. Sein Sohn durfte seinen
Militärdienst als Fahrer eines Generals ableisten. Die unglaubliche Geschichte
des Missionars auf dem Müllwagen, der die eleganten Diasporatürkinnen unter das
Kopftuch zwang, ist symbolisch zu lesen: Der Moscheebau, der aus der türkischen
Siedlung ein türkisches Dorf macht, ist die Rache der Unterschicht, der
analphabetischen Landarbeiter Anatoliens, an der säkularen Oberschicht.
    «Die fremde Braut» bezieht Stellung im innertürkischen
Kulturkampf zwischen der islamisch-demokratischen Partei des Ministerpräsidenten
Erdogan und dem kemalistischen Staatsapparat. Das republikanische Ideal, in
das die Autorin alle Hoffnungen ihrer Kindheitswelt legt, verkörpert ein
angeheirateter Onkel mütterlicherseits, «eine hohe Persönlichkeit» aus dem
Bilderbuch der Staatsbürgerkunde für die Vorschule. «Onkel Enischte ist ein
kluger Mann und ein Patriot. Als 2001 [richtig: 2002] die
sozialdemokratische Regierung bei den Parlamentswahlen weniger als drei Prozent
der Stimmen bekam und die islamistische AKP von Tayyip Erdogan die Regierung
übernahm, marschierte er zum Mausoleum Anit Kabir in Ankara, legte einen Blumenstrauß
am vierzig Tonnen schweren Marmorsarg des Mustafa Kemal Pascha nieder und bat
den Vater der Türken persönlich um Entschuldigung.» Von Beruf war der Onkel -
Enischte heißt Schwager - ein Archäologe und Museumsbeamter, der seine Laufbahn
als Museumsdirektor beschloss.
     
    Das Fiasko der Sechzig
     
    Im Februar 2006 veröffentlichte «Die Zeit» unter der
Überschrift «Gerechtigkeit für die Muslime» einen adressatenlosen Offenen
Brief, der den wachsenden Einfluss einer in populären Sachbüchern verbreiteten
Islamkritik auf die Öffentlichkeit und in der Politikberatung beklagte. Die
Autoren erhoben den Anspruch, im Namen der Wissenschaft zu sprechen; die
sechzig Unterzeichner wurden als Migrationsforscher vorgestellt. In der
Hauptsache war der Text eine Attacke auf die Glaubwürdigkeit von Neda Kelek,
der die Diskrepanzen zwischen der Doktorarbeit und dem Bestseller «Die fremde
Braut» vorgehalten wurden. Auch Neda Keleks Doktormutter, die frühere Hamburger
Ausländerbeauftragte Ursula Neumann, hatte den Offenen Brief unterschrieben.
Der Ethnologe Werner Schiffauer, dessen Feldforschungen bei den Gastarbeitern
aus einem anatolischen Dorf den Erkundungen Neda Keleks im Schüleralltag die
Richtung gewiesen hatten, gehörte nicht zu den Unterzeichnern und wurde in der
Presse mit dem Satz zitiert: «Nicht Neda Kelek sollte man angreifen, sondern
die deutsche Öffentlichkeit, die nur auf so jemanden wie Kelek gewartet hat,
die den Leuten all das bestätigt, was sie schon immer über Muslime gedacht
haben.»
    Kurioserweise hatte

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