Bahners, Patrick
frommen Muslims regiert, schloss Grell auf eine besondere muslimische
Innerlichkeit, die in anderer Weise opak sein soll als die Überzeugungen eines
Christenmenschen. Da «niemand erkennen kann, ob ein muslimischer
Einbürgerungsbewerber dem traditionellen Verständnis des Koran anhängt oder dem
aufgeklärten) sog. Euro-Islam, bestehen bei ihm aufgrund dieser Ausgangslage
generell Zweifel». Mit «erkennen» war hier «aus den Akten erkennen» gemeint.
Aber auch im Gespräch kann man theologische Meinungen nicht erkennen, sondern
nur das Äußern solcher Meinungen zur Kenntnis nehmen. Dem Leitfaden lag eine
religionssoziologische These zugrunde, eine Hauptannahme der Islamkritik. Ein
Wörtlichnehmen des Korans sei «nach unserem westlichen Staatsverständnis
unannehmbar» - der Islam sei aber eine Religion, die gar keine Alternative zum
wörtlichen Verständnis ihrer heiligen Schrift kenne. Daher bleibt gegenüber dem
Muslim, dem sein gesetzlicher Anspruch auf Einbürgerung nicht abgeschlagen
werden kann, ein Restverdacht zurück. Ein Muslim ist immer ein Deutscher auf
Widerruf.
Innenminister Rech hatte schon am 11. Januar,
sechs Tage vor dem «Erläuterungserlass», in der «Stuttgarter Zeitung» sogar
erklärt, die «weitaus überwiegende Zahl» muslimischer Antragsteller werde «ohne
Gespräche eingebürgert». Hätte Rech als Landrat oder Bürgermeister die
Anweisung erteilt, nicht jeden Muslim zu befragen, hätte sein Ministerium eine
solche Aufforderung, von der Verwaltungsvorschrift vom 13. September
abzuweichen, als rechtswidrig bewerten müssen. In der Öffentlichkeit rief es
Befremden, ja Heiterkeit hervor, dass gar nicht der Versuch gemacht worden war,
mit den Fragen ein breites Spektrum denkbarer verfassungsfeindlicher
Einstellungen abzudecken, so dass sich eine hohe muslimische Durchfallquote
nicht schon beim Blick aufs Papier als der Sinn des Unternehmens dargestellt
hätte. Sämtliche Fragen betrafen die Reizthemen des populären Islambildes, das sich
seit der Kopftuchdebatte festgesetzt hatte, also vor allem die Rechte der
Frauen und die Standards der fortgeschrittenen Sexualmoral. Nr. 7: «Halten Sie
es für zulässig, dass ein Mann seine Frau oder seine Tochter zu Hause
einschließt, um zu verhindern, dass sie ihm in der Öffentlichkeit macht>?» Nr. 25: «Was halten Sie davon, wenn ein Mann in Deutschland mit
zwei Frauen gleichzeitig verheiratet ist?» Nr. 29: «Stellen Sie sich vor, Ihr
volljähriger Sohn kommt zu Ihnen und erklärt, er sei homosexuell und möchte
gerne mit einem anderen Mann zusammen leben. Wie reagieren Sie?» In Greils
Denken war es abwegig, von einer Ungleichbehandlung abzulenken, die sachlich
geboten und deshalb auch rechtlich erlaubt war - da Artikel 3 Absatz 1 des
Grundgesetzes «nur gebietet, gleich gelagerte Sachverhalte auch gleich zu
behandeln». Die Leiter der Einwanderungsbehörden hatten ohnehin Bedenken wegen
der zeitlichen Anforderungen des neuen Verfahrens geäußert. Fragen, deren Zweck
gewesen wäre, Muslimen vorzugaukeln, das Land Baden-Württemberg nehme sich
auch vor Anhängern einer Restauration der Habsburger oder Feinden des nach
Artikel 79 Absatz 3 des Grundgesetzes auf ewig geschützten Föderalismus in
Acht, hätten gegen alle Regeln der ordnungsgemäßen Zeithaushaltsführung
verstoßen.
Minister ohne Aktenkenntnis
Die Pressemitteilung vom Dezember 2005 hatte die Ratio der
Verwaltungsvorschrift korrekt, erschöpfend und unmissverständlich erläutert.
«Soweit die Sicht desjenigen, der sich zum Zeitpunkt des
mehr als zwei Jahre mit der Problematik beschäftigt hatte. Aus der Sicht eines
Ministers, auf den täglich eine Fülle von Themen einströmen, unter denen der
Gesprächsleitfaden - jedenfalls zunächst - nur eines unter vielen war, stellte
sich die Sache vermutlich tatsächlich so dar, wie sie nach außen verkündet
wurde: Also kein Rückzieher, sondern lediglich Klarstellung dessen, was von
Anfang an gemeint war.» Grell unterstellt Innenminister Rech also nicht, er
habe die Öffentlichkeit irregeführt und seinen treuen Beamten absichtlich
desavouiert, als er im Landtag bestritt, «mit dem Erlass vom 17. Januar eine
Kurskorrektur vorgenommen zu haben». Lieber hält er ihm zugute, dass er über
die von ihm verantwortete Beschlusslage nie im Bilde gewesen sei. Zwei Jahre
Arbeit für die Katz, weil der Minister die Akten nicht gelesen hat und der
Presse entgegenkommen will.
Beschweren kann sich der
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