Balkan Blues
zwischen seine Schenkel, stützte die Hände auf den Griff und gab sich dem Studium der Parkbesucher hin.
Wie er es schaffte, tagtäglich dieselbe Parkbank leer vorzufinden, bleibt ein Rätsel. Vielleicht weil die Parkbesucher gemerkt hatten, daß er jeden Tag zur selben Stunde kam, und die Bank aus Taktgefühl oder aus Respekt vor seinem Alter nicht besetzten. Oder vielleicht weil die Mütter, immer wenn er kam, gerade ihre Sprößlinge im Kinderwagen zum Mittagessen nach Hause gefahren hatten. Und die Müßiggänger zogen die rundum liegenden Cafés vor, wo man Kaffee Frappé und Cappuccino bekam.
Der einzige Stammgast, dem der Alte beim Gang in den Park begegnete, war ein kleines dunkelhäutiges Mädchen, das so schwarz war, daß es nachts bestimmt mit der Dunkelheit verschmolz. Nur seine Locken schimmerten von Kastanienbraun bis Dunkelblond. Es trug saubere Kleidung, manchmal Jeans und T-Shirt, dann wieder ein geblümtes Kleidchen. Stets jedoch hatte es dieselben winzig kleinen Turnschuhe an den Füßen.
Der Alte traf das kleine Mädchen im Park auch dann an, wenn kein anderes Kind mehr dort war. Was er nicht wußte, war, daß es um acht Uhr morgens kam und den ganzen Tag lang dort blieb. Es wurde von einem etwa dreißigjährigen Mann mit kahl geschorenem Kopf gebracht, der genau so schwarz wie das Mädchen war. Er setzte es auf eine Parkbank und ging fort. Das Mädchen streckte beide Arme aus und tastete nach den leeren Plätzen neben sich, als wolle es die unbewohnten Zimmer einer Wohnung erforschen. Dann erhob es sich, drehte eine kleine Runde, blieb dabei bei den anderen Parkbänken stehen und kehrte wiederum zu seiner zurück. Manchmal dachte es sich verschiedene Spiele aus: Es berührte im Laufen alle Bäume des Parks, oder es beschrieb, auf einem Bein hüpfend, einen Kreis in der Mitte des Parks. So vertrieb es sich zwei Stunden lang die Zeit, bis um zehn die ersten Kinder mit ihren Müttern und Großmüttern eintrafen.
Nicht daß die anderen Kinder mit dem Mädchen gespielt hätten. Die einheimischen Besucher des Parks folgten strengen Verhaltensregeln. Die Kleinen, deren Mütter und Großmütter miteinander verkehrten, hatten auch untereinander Kontakt. Das schwarze Mädchen hatte niemanden und blieb daher allein. Zudem sprach es kein Griechisch. Ein paar Kinder versuchten halbherzig, es in ihre Reihen aufzunehmen. Als sie sahen, daß sie sich mit ihm nicht verständigen konnten, verloren sie das Interesse. Das schwarze Mädchen hatte jedoch gelernt, sich am Rand der einheimischen Kindercliquen aufzuhalten. Es spielte zwar allein, doch immer auf den Spuren anderer Kinder. So war es am Spiel beteiligt, ohne jedoch Zugang zu den Grüppchen zu finden.
Jeden Mittag um ein Uhr verließ das Mädchen für kurze Zeit den Platz, überquerte die schmale Straße und ging in den gegenüberliegenden Imbiß, der Teigtaschen mit verschiedenen Füllungen verkaufte. Es zog zwei Euro aus seiner Tasche und legte sie neben die Kasse. Dann ging es zum Blech mit den Käse- und Spinattaschen und den Pizzas und deutete mit seinem Fingerchen stets auf die gleiche Tyropitta. Die Verkäuferin wußte natürlich schon im voraus, welche Teigtasche das kleine Mädchen aussuchen würde, doch es deutete nach wie vor jeden Mittag darauf. Dann ging es mit der Tyropitta und einer Papierserviette in der Hand auf den Kühlschrank mit den Wasser- und Limonadenflaschen zu und nahm sich eine kleine Flasche Wasser heraus. Es kehrte mit der Tyropitta und dem Wasser auf den Platz zurück, setzte sich auf die Parkbank und aß sein Mittagessen. Dann warf es die Papierserviette und die leere Plastikflasche in den Mülleimer. Bis es mit dem Essen fertig war, hatte sich der Platz schon halb geleert.
Als das kleine Mädchen eines Tages wieder sein Mittagessen kaufen wollte, war die Tyropitta um zwanzig Cent teurer. Und so reichte das Geld nicht für die Käsetasche und das Wasser. Die Verkäuferin versuchte, dem Kind zu erklären, daß es noch zwanzig Cent dazulegen müsse, doch, wie gesagt, es verstand kein Wort Griechisch. Die Verkäuferin machte noch ein paar Anläufe und gab dann auf.
»Hör mal, heute lege ich die zwanzig Cent aus, aber von morgen an bringst du zwei Euro zwanzig mit, in Ordnung?« sagte sie zu dem schwarzen Mädchen, das sie verständnislos anblickte.
»Ist das dein Ernst?« mischte sich ihre Kollegin ein, welche die Käsetaschen in den Ofen schob. »Wie soll es denn begreifen, daß es nicht genug Geld dabei hat, wenn du
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