Balkan Blues
aufbaute, weil ich wußte, daß ich sie gut spielte, oder einfach, weil sie mich an die Abschlußprüfung erinnerte. Für die meisten Musiker bildet ja das Diplom den einzigen künstlerischen Erfolg ihres Lebens. Wie auch immer. Eines Abends, bevor wir durch die Lokale zogen, überkam es mich, und ich spielte den zweiten Satz der Sonate. Frida bügelte gerade. Wie gesagt, was der eine tat, bekam auch der andere unvermeidlich mit. Außer, man ergriff die Flucht und ging nach draußen. Sie unterbricht also das Bügeln und fragt mich mit einem gewissen ironischen Unterton, ob das moderato sein sollte. Nein, nicht moderato , antwortete ich. Andantino tranquillo e dolce. Du spielst es aber wie ein moderato , beharrte sie. Sie verstehen, wenn eine Musikerin aus Albanien, die an der Musikschule von Tirana Flöte gelernt hat, meint, sie wisse es besser, wie man die Szymanowski-Sonate spielen müsse, mit der man ein sehr gut und großen Zuspruch bei der Abschlußprüfung eingeheimst hat … dann kann man das nicht einfach so hinnehmen! Es kam zu einem Riesenstreit, und da wurde uns klar, daß jeder den anderen für einen miesen Musiker hielt. Nur diesmal sprachen wir es zum ersten Mal offen aus. Wir mußten die Auseinandersetzung unterbrechen, um arbeiten zu gehen, doch ich hatte den Streit noch lange nicht verdaut und wartete auf meine Chance zum Gegenschlag. Als sie die Querflöte in Telemanns Konzert für zwei Flöten gab, sagte ich ihr, sie spiele andante statt grazioso. Da brach ein zweiter Streit aus, und wir warfen einander schwere Anschuldigungen an den Kopf. Ich sagte, sie heiße wohl gar nicht Frida, sondern Feride und sei eine türkische Albanerin. Deshalb komme sie auch mit Klarinette und Volksmusik besser zurande, während sie bei Flöte und Kammermusik nichts zustande bringe. Natürlich war das ein Fehler, ich hätte das nicht sagen sollen, aber es war eine musikalische Auseinandersetzung, und so schlug ich über die Stränge. Dabei ging es uns beruflich immer besser. Einige Straßenmusiker, die Frida in der Passage gehört hatten, schlugen uns vor, mit ihnen zusammen eine Gruppe zu gründen. Mit Violine, Akkordeon, Gitarre und Kontrabaß, und Frida sollte abwechselnd Flöte oder Klarinette spielen. Nun standen wir morgens in der Ermou-Straße. Doch wir stritten selbst vor unseren Kollegen. Jedesmal in der Pause begann das Hickhack. Was du wieder zusammentrötest – nein, hör doch, was du zusammenfiedelst. Oder sie sagte: Nicht so fortissimo , mein Lieber, dafür schrammelst du viel zu unrein. Und ich meinte: So, wie du Flöte spielst, klingt es wie Klarinette. Schläge unter die Gürtellinie blieben nicht aus. So etwa sagte ich zu ihr: Das ist ein C und du spielst ein Cis. Und sie wartete nur auf die Gelegenheit, um es mir heimzuzahlen: Soll das vielleicht ein B sein? Es hört sich wie ein A an. Die anderen Musiker hatten bald die Nase voll und hätten uns gern den Laufpaß gegeben, aber da wir Erfolg hatten, faßten sie sich in Geduld und versuchten, die Spannungen abzufedern. Zu Hause war unser Leben zu einem Martyrium geworden. Man muß sich das einmal vorstellen: Es war so weit mit mir gekommen, daß ich mir die Bearbeitung für Violine von Beethovens Neunter vorgenommen hatte und daraus den ersten und zweiten Satz spielte, um ihr zu beweisen, wie überzeugend ich das allegro ma non troppo, un poco maestoso im Vergleich zum anschließenden molto vivace interpretierte.«
Er stöhnte auf und bestellte noch ein Bier, diesmal ohne mich um Erlaubnis zu fragen.
»Eines Morgens nahmen mich die andern drei Musiker nach einem neuerlichen Streit beiseite und meinten, sie könnten so nicht mehr arbeiten. Wir stritten ja mehr, als wir spielten. Sie hätten deshalb beschlossen, mich aus der Band auszuschließen. Frida wollten sie behalten, da sie zwei Instrumente spielte und ihnen nützlicher war. Ich sagte nichts, ging bloß schnurstracks nach Hause, packte meine Siebensachen und verließ die Wohnung. Aber ich war verletzt. Sehr sogar. Die erste Geige jagt man nicht einfach davon und behält die Klarinette, nicht wahr? Am nächsten Morgen bezog ich auf dem gegenüberliegenden Gehsteig Position. Ich lauerte auf eine Pause und begann sofort zu spielen. Damit hatten sie nicht gerechnet. Sie konnten ja nicht ununterbrochen spielen, sie mußten auch einmal Atem schöpfen. Genau in dem Augenblick quetschte ich mich dazwischen und hörte nicht mehr auf. Und was, meinen Sie, habe ich gespielt? Den ersten Satz aus Vivaldis
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