Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
Vom Netzwerk:
kleinem Finger, ohne Beteiligung der mittleren Finger. Er schien darin geübt zu sein, und die Bürsten umschmeichelten flink das Leder. Gerade als das Orchester zum zweiten Satz des Konzerts überging, hatte er seine Arbeit beendet und klopfte mit der Bürste an meine Schuhsohle, damit ich meinen Fuß wieder herunterstellte.
    Meine tägliche Route führt mich nicht oft in die Chateaubriand-Straße. Sie beschränkt sich auf die Strecke zwischen Maroussi und Messojia. So verging mehr als ein Monat, bis ich wieder in der Fußgängerzone war. Ich fand den Schuhputzer mit seinem Zubehör wieder an derselben Stelle vor, daneben der Kassettenrecorder. Diesmal drang die Musik lauter und diffuser aus dem Gerät. Dennoch konnte ich etwa einen Schritt entfernt die Kadenz aus dem Violinkonzert von Beethoven erkennen. Als er sah, wie ich meinen Fuß auf die Ablage stellte, drehte er, wie das letzte Mal, die Musik leiser.
    »Du mußt nicht leiser stellen, es stört mich nicht«, sagte ich. »Obwohl … das große Orchester kommt mit dem kleinen Gerät gar nicht zur Geltung. Und im Freien schon gar nicht.«
    Er unterbrach das Bürsten und warf mir einen neugierigen Blick zu.
    »Woher wissen Sie, daß Beethovens Violinkonzert für großes Orchester geschrieben ist?«
    »Ich weiß auch, daß Vivaldis und Mozarts Konzerte nicht dafür geschrieben sind.«
    Es lag ihm eine Entgegnung auf der Zunge, doch er verkniff sie sich und wandte sich wieder seinen Bürsten zu. An seiner Miene konnte man jedoch ablesen, daß er mir ein tiefsinniges Gespräch über Musik nicht zutraute.
    »Ist das etwas Besonderes zu wissen, daß Beethoven sein Violinkonzert für großes Orchester geschrieben hat?« beharrte ich, da seine Haltung mich langsam zu nerven begann.
    »Daß ein Grieche etwas von klassischer Musik versteht, ist etwas Besonderes.«
    »Wieso? Gibt’s bei uns vielleicht keine Symphonieorchester oder Kammermusik-Ensembles? Und was ist mit unserem prächtigen Konzerthaus?«
    Er lachte auf. »Das habt ihr zwar, doch Neigung zur ernsten Musik habt ihr nicht. Wir in Bulgarien lieben die klassische Musik mehr als ihr. Auch wenn Sie mir nicht glauben, es ist einfach so.« Er sprach gut Griechisch, mit einem starken nordgriechischen Akzent.
    »Warum sollte ich dir nicht glauben?«
    »Weil ihr Griechen meint, daß ihr überall die Nase vorn habt.«
    Er wollte mich wohl provozieren, doch diesmal bemühte ich mich um eine ruhige Reaktion.
    »Na gut, kann sein, daß wir die klassische Musik nicht so lieben wie ihr, wir sind aber auch nicht allesamt Banausen.«
    »Wie nennt man das … Ein gebranntes Kind scheut den Ofen?«
    »Nein, das Feuer. Ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Wieso, bist du ein gebranntes Kind?«
    Er zog es vor, nicht zu antworten, und befaßte sich lieber mit meinen Schuhen. Wieder beobachtete ich, wie er den Lappen mit zwei Fingern festhielt, während die beiden mittleren Finger zu keiner Tätigkeit zu gebrauchen waren.
    »Was hast du gespielt, Klavier?«
    »Violine«, antwortete er gepreßt.
    »Und warum hast du aufgehört? Arthrose?« Und ich deutete auf seine mittleren Finger.
    Er ließ die Samtbürste sinken und blickte mich mit einem ironischen Lächeln an.
    »Darauf wäre ich nicht gekommen. Von jetzt an werde ich sagen, daß ich an … Arthrose … leide.«
    »Wieso, kommt es nicht von einer Krankheit?«
    Er lachte erneut. »Nein, von der Mafia. Die hat mir die Finger gebrochen, damit ich nicht mehr spiele.«
    Wieso sollte die Mafia einem Musiker die Finger brechen? Er war weder ein Rotlichtbaron noch ein Nachtlokalbesitzer, nur ein Geigenspieler. Daraus schloß ich, daß er mich anlog. Illegale Einwanderer tun das des öfteren, entweder um Eindruck zu schinden oder um ihre Lebensgeschichte den Gegebenheiten des Landes anzupassen.
    Er bemerkte meinen mißtrauischen Blick, als er das Geld entgegennahm, doch er sagte nichts. Zusammen mit dem Wechselgeld zog er ein doppelt gefaltetes Blatt Papier aus der Schublade. Kommentarlos reichte er es mir.
    Es war die Fotokopie eines Diploms des Staatlichen Konservatoriums von Sofia, daran war die beglaubigte Übersetzung des Außenministeriums geheftet. Aus der Übersetzung war zu entnehmen, daß Christo Stoitsew die Meisterklasse in klassischer Violine am Staatlichen Konservatorium in Sofia mit der Note »sehr gut« abgeschlossen hatte. Das belegte, daß er kein Betrüger war, aber es erklärte nicht, warum die Mafia ihm die Finger gebrochen hatte. Erbärmliches Geigenspiel allein

Weitere Kostenlose Bücher