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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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schien mir kein ausreichender Grund zu sein.
    Ebenso kommentarlos wie er gab ich ihm die Papiere zurück. Nachdem er sie sorgfältig wieder zusammengefaltet und in die Schublade zurückgelegt hatte, zog er eine Karte heraus und überreichte sie mir. Darauf standen mit wackeligen Großbuchstaben sein Name und seine Handynummer notiert. Und darunter, wieder in Großbuchstaben: Geigenlehrer.
    »Vielleicht hören Sie ja mal von einem Kind, das Geigenunterricht nehmen möchte«, sagte er. »Um jemandem das Geigenspiel beizubringen, braucht man die Finger nicht unbedingt. Es reicht, wenn man die Griffe richtig zeigt.«
    Er hatte nicht unrecht, doch wer nimmt sich schon einen einarmigen Fechtlehrer oder einen Geigenlehrer mit gebrochenen Fingern? Da ich ihn nicht kränken wollte, gab ich eine stereotype und vage Antwort.
    »In Ordnung, wenn ich was höre, lasse ich es dich wissen.«
    Wieder warf er mir diesen ironischen Blick zu. Es war klar, daß er mit dem Mut der Verzweiflung Schüler suchte, ohne selbst daran zu glauben.
     
    Wir saßen in einem Grillimbiß an der Ecke Chateaubriand- und Dorou-Straße, genau hinter seinem Stammplatz. Schließlich hatte ich mein Versprechen schneller als erwartet eingelöst. Ich war auf die Idee gekommen, ihn an ein Heim für behinderte Kinder zu vermitteln. Der Verwaltungsrat und die Heimleiterin waren nicht gerade begeistert von meinem Vorschlag, aber es gelang mir, sie davon zu überzeugen, daß ein behinderter Lehrer mit den Kindern besser zurechtkommen würde.
    Das erklärte ich auch ihm, während wir aßen – er eine Portion Gyros mit Hühnerfleisch und ich eine Portion Hackfleischbuletten. Der ironische Blick war verschwunden, diesmal betrachtete er mich voll Mißtrauen. Es fiel ihm schwer zu glauben, daß ein handschriftliches Kärtchen, das er vor ein paar Tagen einem Unbekannten in die Hand gedrückt hatte, sein Geschick ändern sollte. Um ehrlich zu sein, mein Interesse war nicht ganz ohne Hintergedanken. Ich war neugierig zu erfahren, wie sich ein Musiker so sehr mit der Mafia anlegen konnte, daß sie ihn berufsunfähig prügelte. Nur, wenn er in einem Nachtlokal gespielt und gleichzeitig gedealt, irgendwann einen Fehltritt begangen und dann die Folgen zu tragen hatte. Aber wenn die Erklärung tatsächlich so gewöhnlich war, verlor ich bloß meine Zeit.
    »Warum hat die Mafia deine Finger gebrochen?«
    Mit voller Absicht stellte ich die Frage aus heiterem Himmel, doch genau so prompt kam die Antwort: »Warum wollen Sie das wissen? Was geht Sie das an?«
    »Nichts. Reine Neugier.«
    Er legte die Gabel auf den Teller und blickte mich an.
    »Es ist nicht nur Neugier. Sie haben etwas für mich getan und erwarten jetzt, daß ich mich revanchiere. Da ich auf der Geige nichts mehr vorspielen kann, muß ich also meine Geschichte erzählen.« Ich schämte mich und wollte mein Ansinnen schon zurückziehen, als er mir zuvorkam: »In Ordnung, einverstanden. Ich erzähle sie nicht gern, da es immer noch weh tut, aber, wer weiß, vielleicht wird dadurch der Schmerz erträglicher.«
    Er verstummte, nahm die Gabel wieder in die Hand und nahm einen Bissen in den Mund. Dann begann er mechanisch zu kauen, als helfe ihm das, sich zu konzentrieren.
    »’92 bin ich nach Griechenland gekommen. Ich habe mich bei den Symphonieorchestern beworben, aber die Violine war überall schon besetzt. Andere Instrumente hätte man brauchen können: Oboe, Tuba, Fagott … Außerdem spielte ich in Bulgarien nicht in einem Symphonieorchester, sondern in Tanzorchestern. Wissen Sie, unter Schiwkow tanzten die Leute Tango, Walzer oder Foxtrott. Rocklokale gab es in ganz Sofia nur zwei. Es gab natürlich auch Jazzbands, aber als Violinist ist man da auf verlorenem Posten. Ich bewarb mich um eine Stelle im Unterhaltungsorchester des Griechischen Rundfunks. Man schrieb meinen Namen und meine Adresse auf, zum Vorspielen wurde ich nie eingeladen. So tat ich das, was alle Musiker auf dieser Welt tun. Morgens spielte ich auf Plätzen oder unter Arkaden, und abends zog ich von Taverne zu Taverne.«
    Er hielt inne und schaute suchend um sich. Als sein Blick auf sein leeres Bierglas fiel, fragte er schüchtern: »Darf ich mir noch eins bestellen?«
    »Für mich auch noch eins.«
    Das Bier diente als Vorwand für eine kleine Pause, da er sichtlich nach Worten rang. Doch das Lokal war leer, und das Bier kam sofort. Er nahm einen kräftigen Schluck und fuhr mit dem Bierschaum am Mund fort: »Morgens spielte ich immer in der

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