Balkan Blues
Bulgarischen Philharmoniker mitgenommen. Zwei Wochen lang hat er mir vom großen Dirigenten Konstantin Iliew vorgeschwärmt. Eine Woche lang haben wir nur von Brot und Oliven gelebt, um das Geld für die Eintrittskarten zusammenzusparen. Dann sah ich einen Dirigenten, der auf dem Podium herumsprang, aber Musik habe ich keine gehört. Als ich ihm das sagte, ging er in die Luft. Was sollte auch eine Albanerin von so einem Orchester verstehen, meinte er verächtlich. Glauben Sie vielleicht, nur ihr Griechen spuckt auf uns? Auch die Bulgaren schauen auf uns herab, die Serben und die Mazedonier, selbst unsere eigenen Landsleute aus dem Kosowo. Aber was soll’s. Ich war eben die Albanerin, die nichts von Musik versteht. Ich konnte ja nur waschen, bügeln und kochen. Er spielte Geige, und im Haushalt rührte er keinen Finger. Er war nicht nur ein schlechter Musiker, er war auch noch ein Pascha. Sehen Sie mal, im Café, in dem ich arbeite, serviere ich Kaffee, wasche Teller und Gläser. Aber ich werde dafür bezahlt. Ich weiß, daß der Chef mich ausnutzt, mir nur den halben Lohn gibt, kein Urlaubs- oder Weihnachtsgeld bezahlt, mich nicht versichert. Aber trotzdem werde ich bezahlt. Zu Hause habe ich das alles auch gemacht, ohne einen Euro zu bekommen, und darüber hinaus habe ich schlechte Musik hören müssen. Wissen Sie, daß er mir nicht geglaubt hat, als ich ihm erzählte, ich kenne Karol Szymanowski? Daß ich weiß, daß er ein enger Freund von Arthur Rubinstein und Pawel Kochanski war, daß sein bestes Werk das Stabat Mater ist. Aber wie ist es möglich, daß eine Albanerin Szymanowski kennt! Dabei spielte er den zweiten Satz der Violinsonate statt andantino tranquillo e dolce ganz klar moderato. Nicht einmal moderato cantabile !«
»Willst du die Arbeit machen, die ich dir vorgeschlagen habe?«
Meine Frage brachte sie wieder auf den Boden der Tatsachen zurück, und ihr Mißtrauen kehrte wieder.
»Warum sollten Sie mir Arbeit geben?«
»Weil du selbst eine Behinderung hast und die behinderten Kinder besser verstehen kannst.«
Das Argument gefiel ihr, und sie lächelte.
»Einverstanden, ich komme. Und wohin?« entgegnete sie eilig.
Mir war klar, daß sie gerne gewußt hätte, ob auch Christo dort arbeitete. Doch sie erkundigte sich nicht danach. Vielleicht aus Angst, denn wenn ich die Frage bejaht hätte, dann hätte sie absagen müssen.
Ich fädelte es so ein. daß sie sich in der Stiftung treffen mußten. Christo war bereits dort, in seinen besten Kleidern oder in dem, was von ihnen übriggeblieben war. Er stand mitten unter den Kindern und dem Personal, auch die Direktorin war da. Alle warteten, während das Aufnahmeteam seine Vorbereitungen für die Livereportage traf, als die Tür aufging und Frida hereintrat. Sie blickten sich an, beinahe hätte sie sich wieder aus dem Staub gemacht. Doch Christo kam ihr zuvor, ging auf sie zu und blieb vor ihr stehen. Einen Augenblick lang verharrten beide reglos, dann öffnete Christo seine Arme. Sie zögerte zunächst einen Moment, dann machte sie einen Schritt auf ihn zu, damit er sie in die Arme schließen konnte. Ihre Umarmung löste sich, und Tränen rollten über ihre Wangen. Waren es die Tränen von Liebenden? Die Tränen von Heimatlosen? Oder die Tränen, die Musikliebhabern in die Augen treten, wenn sie im Finale Toscas Todesarie hören?
Der Stiftungsdirektorin war dieser Gefühlsausbruch unangenehm, und sie kam aufgebracht auf mich zu.
»Was soll das denn vor den Kindern? Noch dazu, bevor sie sich überhaupt kennenlernen?« protestierte sie.
»Machen Sie sich keine Sorgen, es wird nicht wieder vorkommen«, entgegnete ich knapp.
Sie wagte nicht, darauf zurückzukommen. Sie fürchtete, das Aufnahmeteam könnte unverrichteter Dinge wieder abziehen, so daß ihr die Möglichkeit durch die Lappen ging, sich und ihre Stiftung darzustellen.
Fridas und Christos Arbeitsstellen waren, solange ich Fernsehsendungen moderierte, nicht gefährdet. Es stand in niemandes Interesse, einen TV -Skandal zu riskieren, noch dazu wegen rassistisch motivierter Entlassung zweier behinderter ausländischer Musiker. Doch sollte ich meine Stellung beim Sender verlieren, wäre auch ihr Schicksal besiegelt. So ist unser aller Geschick miteinander verquickt.
Ohne Kulisse
»Sag mal, Gorgakis, mein Freund, wieso hat das Jota zwei Punkte oben drauf?«
»Mann, Basir, das hab ich dir doch schon tausendmal erklärt. Wenn zwei Punkte nebeneinander über einem Buchstaben stehen, nennt man
Weitere Kostenlose Bücher