Balkan Blues
bosnische Serben, Albaner, Mazedonier … Bettler und Bürgerkriegsflüchtlinge waren immer schon unser Los.«
Der bosnische Serbe sah mit Erleichterung, daß die Frau sich entfernte. Er wollte nicht auffallen. Seine Erfahrung hatte ihn gelehrt, daß ein guter Bettler sich seiner Umgebung anpassen mußte und am besten so unauffällig war wie die Bäume und die Parkbänke. Er zog die Beine an, stützte sein Kinn auf die Knie und schloß wieder die Lider. Weder wollte er kerngesund noch wie das Opfer einer ansteckenden Krankheit aussehen. Deshalb hockte er so da: wie erschöpft und daher arbeitsunfähig. Seine innere Uhr sagte ihm, wann er die Lider einen Spalt weit öffnen sollte, um die Umgebung zu kontrollieren. Dieses System nannte er »Auf-Streife-Gehen« und wiederholte es in kurzen Abständen.
Bei einer dieser »Streifen« sah er die beiden. Sie standen vor dem Flocafé und würden gleich die kleine Gasse überqueren und auf den Platz treten. Zwei Milchgesichter mit durchtrainierten Oberarmen und breiten Schultern, die lachend Schattenboxen spielten.
»Vorgestern war’s einer, heute sind’s schon zwei«, dachte er, während er sie aus den halb geschlossenen Lidern betrachtete, als sie – immer noch heiter und fröhlich – auf ihn zukamen.
Er zerrte seinen Rucksack unter den Knien hervor und warf die Blechbüchse mit den Münzen hinein. Die beiden bekamen mit, daß er Anstalten zum Aufbruch machte, und unterbrachen ihre Scherze. Sie versperrten ihm den Weg – der eine zur Tritis-Septemvriou-Straße, der andere zur Aristotelous-Straße – und nahmen ihn in die Zange. Der bosnische Serbe versuchte den Rückzug über die Elpidos-Straße.
An der Ecke stellten sie ihn. Der eine faßte ihn um die Schultern und redete freundschaftlich auf serbisch auf ihn ein: »Wann begreifst du es endlich? Ich hab dir doch gesagt, du sollst nicht mehr herkommen. Hier betteln unsere Kinder. Der Platz bringt viel Geld ein. So bin ich gezwungen, meinen Freund mitzubringen.«
Er packte noch fester zu, um den Bettler aufrecht zu halten, während sein Freund stumm, systematisch und ausdruckslos auf ihn einschlug. Eine Menschenmenge hatte sich angesammelt: Stammgäste, Kunden und Kellner der umliegenden Imbißlokale, Passanten. Unbeteiligt verfolgten sie die Szene, als wäre es eine Frage des Prinzips, kein gratis gebotenes Schauspiel auszulassen. Nur ein kleines Kerlchen, das bei seinem Vater auf dem Arm saß, ahmte die Bewegungen des Schlägers nach und boxte in die Luft.
Als ihn der Typ losließ, sank der bosnische Serbe zu Boden. Der andere bückte sich und nahm den Rucksack an sich. »Den nehme ich zur Strafe mit«, meinte er, immer im gleichen freundlichen Tonfall.
Die Menge wich zurück, um die Typen durchzulassen. Der mitteilsamere von beiden hielt vor dem kleinen Jungen an, um einen Scheinkampf mit ihm auszufechten. Dann gingen sie ungestört weiter zur Aristotelous-Straße.
Nach ihrem Abgang versuchte der bosnische Serbe sich aufzurichten. Er wollte niemandem, der sich verspätet als Menschenfreund erweisen wollte, Anlaß bieten, die Polizei oder einen Krankenwagen zu rufen. Seine Sorge erwies sich jedoch als unbegründet, da die Menge sich bereits zerstreute. Er wischte mit einem Taschentuch über sein Gesicht und sah, daß er blutete.
Er tastete es ab, um zu sehen, wo das Blut herkam, dann preßte er das Taschentuch auf die Wunden.
Er stützte sich an einer Mauer ab, bis er seine Beine wieder in der Gewalt hatte, und ging dann langsam die Fylis-Straße hinunter. Vor einem billigen Rembetiko-Schuppen blieb er stehen. Die Schlüssel dazu waren beim benachbarten Kurzwarenhändler hinterlegt, der damit der Putzfrau oder dem Getränkelieferanten mit seiner Schmuggelware aufschließen konnte. Er hatte mit ihm vereinbart, sich gegen ein kleines Entgelt in dem Schuppen umkleiden zu können, bevor er seine Schicht antrat.
»Wie siehst du denn aus?« Der Kurzwarenhändler blickte ihn erschrocken und doch fasziniert an.
»Schüssel«, sagte der bosnische Serbe kurz angebunden. Er hatte keine Lust auf lange Gespräche. Er wollte nur sein Gesicht waschen, sich umziehen und gehen.
»Pack deine Siebensachen und verschwinde«, meinte der Kurzwarenhändler mit einer Miene, die keinen Widerspruch duldete. »Ich will ja kein Unmensch sein, aber du bringst mir die Bude auf den Hund.«
Er blieb in der Toilette, bis er sein Gesicht vom Blut gesäubert hatte. Gerade rollte er seine Arbeitskleider zusammen, als sich der
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