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Balkan Blues

Balkan Blues

Titel: Balkan Blues Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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versuchte er mich zu beruhigen, indem er mir versicherte, daß ich als erster sowohl die zehntausend Euro von dem aktuellen Totoschein als auch meinen Anteil am Gewinn des nächsten Totoscheins erhielte, sobald wir wieder dreizehn Richtige erraten würden. Er maß meinen fortgesetzten Einwänden keine Bedeutung bei und brach die Diskussion mit dem Hinweis auf unsere Arbeit ab. Er forderte mich auf, Tomaten und Zwiebeln für die Souflaki zu schneiden. Als ich mit dem Messer die Tomaten zerteilte, fühlte ich aufgrund des erlittenen Unrechts große Wut in mir aufsteigen. In diesem Augenblick hatte mir der Obengenannte den Rücken zugewendet und steckte das Gyros auf den Spieß. Ich wußte nicht mehr, was ich tat: Ich ging von hinten auf den Obengenannten los und stieß ihm im Affekt das Messer in den Rücken, bis er blutüberströmt zusammenbrach. Das erste, woran ich mich danach erinnere, ist, daß ich das Messer fortwarf und aus dem Grillrestaurant stürzte. – Hast du alles, was ich vorgelesen habe, verstanden?«
    »Jawohl.«
    »Nix hast du verstanden, aber egal. Ich habe es so aufgezeichnet, wie du es erzählt hast. Ich habe auch im Affekt reingeschrieben, vielleicht nützt es dir ja was.«
    »Ich haben alles verstanden. Ich kann Griechisch. Schreiben und lesen.«
    »Du Glücklicher. Das kannst du im Gefängnis bestimmt gut gebrauchen … Vlassopoulos hier, Herr Kommissar. In Ordnung, er hat unterschrieben. Wir sind fertig. Ich lasse ihn abführen.«

Green Card
    Der Kleine rannte in alle Richtungen, die Arme ausgebreitet wie die Flügel einer Windmühle. Auf dem Gehsteig der Tritis-Septemvriou-Straße waren nur wenige Passanten unterwegs, daher blieb seiner Mutter erspart, die Einkäufe in der einen Hand und den Jungen an der anderen halten zu müssen. Sie ließ ihm die Freiheit, allein an der Häuserwand entlangzulaufen.
    Etwa zehn Meter weiter auf dem Viktoria-Platz entdeckte der Kleine die Blechbüchse. Bis dahin hatte er nach einer zerquetschten Sprite-Dose getreten, einer zerrissenen Papiertüte, einer verfaulten Zitrone und einem leeren Karton Orangensaft, den er lustvoll drei Läden weiter geschleudert hatte. Eine Blechbüchse fehlte noch in seiner Sammlung. Er warf einen raschen Blick auf den Typen, der im Schneidersitz hinter der Büchse saß und dessen Kopf mit geschlossenen Lidern zur Seite gesunken war. Er trug verwaschene Jeans und ein kariertes Hemd. Um seinen Hals hing ein Pappschild.
    Der Kleine ging direkt auf ihn zu. Beim Spielen war ihm das Leibchen hochgerutscht, und sein Bäuchlein schaute hervor. Einen Schritt vor der Blechbüchse blickte er zum riesigen Gebäude der Telefongesellschaft hoch, während sein Fuß, wie zufällig, die Dose berührte. Der Tritt war sanft, aber raffiniert: mit dem Außenrist, so daß er den erfahrensten Torhüter bezwungen hätte. Die Büchse drehte sich zweimal um die eigene Achse, kippte dann um, und die Münzen kullerten auf den Gehsteig. Der Kleine kümmerte sich nicht darum, sondern lief zu seiner Mutter, wie ein Spieler, der sich nach dem Torschuß von seinen Mitspielern feiern läßt. Das Schild hatte er nicht gelesen, das an einem Silberbändchen – das sonst zum Verpacken von Blumensträußen oder Konditorwaren verwendet wird – um den Hals des Typen hing: »Ich bin bosnischer Serbe, ich habe Hunger.«
     
    Das Scheppern der Blechbüchse weckte den bosnischen Serben. Er hatte den Tritt des Kleinen nicht mitbekommen und fragte sich, wie er die Büchse umgeworfen hatte. Er hob sie auf und begann, die Münzen einzusammeln. Sie waren nicht weit verstreut, nur eine rollte auf die Tritis-Septemvriou-Straße hinaus, bis ein Frauenfuß in Pantoletten sie stoppte. Die Frau, die die Münze aufhob, war an die Siebzig. Sie war ein musealer Überrest aus der Zeit, als der Viktoria-Platz der Stolz der Athener Mittelschicht war. Sie schickte der Mutter, die ihren Weg nach der Großtat ihres Sohnes ungerührt fortsetzte, einen wütenden Blick hinterher.
    »Na, meine Dame, Sie haben Ihrem Herrn Sohn ja perfekte Manieren beigebracht!« sagte sie, laut genug, damit es die Umstehenden hören konnten, aber nicht laut genug für die Mutter des Sprößlings.
    Sie trat auf die Blechbüchse zu, und als sie die Münze hineinwarf, fiel ihr Blick auf das Schild: »Ich bin bosnischer Serbe, ich habe Hunger.«
    »Ach du liebes Bißchen, alle kommt ihr hier zusammen«, sagte sie, so laut, daß es wiederum der bosnische Serbe hören konnte, nicht aber die Passanten. »Serben, Bosnier,

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