Ball der Vampire
»Ich habe vergessen, warum. Unsere Väter ... ich weiß es nicht mehr. Alles wäre anders verlaufen, wenn er sich etwas aus mir gemacht hätte. Aber so hat er mich vergewaltigt und dann ins nächste Dorf gebracht, wo er mich anbot. Gegen Geld, natürlich, und gegen Essen. Obwohl die Grippe im ganzen Landstrich wütete, wurden wir nie krank.«
Ich versuchte überall hinzusehen, nur nicht in ihr Gesicht.
»Warum wollen Sie mir nicht in die Augen schauen?« Ihr Akzent hatte sich verändert, während sie erzählte; als hätte sie gerade erst Englisch gelernt.
»Es tut mir so leid für Sie«, erwiderte ich.
Sie legte die oberen Zähne auf die Unterlippe und sog etwas Luft an, die sie wieder ausstieß, wobei ein Geräusch wie ein » Fffft! « entstand. »Grämen Sie sich nicht«, sagte die Königin. »Denn als Nächstes übernachteten wir in einem Wald, und ein Vampir holte sich ihn.« Dabei wirkte sie ziemlich erfreut. »Der Vampir war sehr hungrig und begann mit Clovis, weil er größer war. Danach konnte er sich einen Moment Zeit lassen, sah mich an und beschloss, dass es ganz nett wäre, eine Begleiterin zu haben. Er hieß Alain, und drei Jahre lang reiste ich mit ihm umher. Vampire lebten damals natürlich noch im Verborgenen. Sie existierten nur in den Geschichten, die alte Frauen abends am Feuer erzählten. Und Alain war sehr gut darin, es genau dabei zu belassen. Alain war Priester gewesen, und es machte ihm großen Spaß, andere Priester im Bett zu überraschen.« Sie lächelte wehmütig.
Ich spürte, wie meine Sympathie schon wieder schwächer wurde.
»Alain versprach mir immer wieder, mich herüberzuholen, denn ich wollte natürlich genauso werden wie er. Ich wollte diese unglaubliche Kraft besitzen.« Sie warf mir einen Blick zu.
Ich nickte. Das konnte ich gut verstehen.
»Doch immer wenn er Geld und Kleider für mich brauchte, tat er dasselbe wie Clovis, er verkaufte mich. Er wusste, dass die Männer meine Kälte bemerken würden und dass ich sie beißen würde, wenn ich selbst eine Vampirin wäre. Langsam hatte ich genug von seinen ewigen leeren Versprechungen.«
Ich nickte, um ihr zu zeigen, dass ich aufmerksam zuhörte. Und das tat ich auch. Doch irgendwo im hintersten Winkel meines Hirns fragte ich mich, wohin zum Teufel dieser Monolog führen sollte und warum ausgerechnet ich mir diese faszinierende und deprimierende Geschichte anhören musste.
»Eines Nachts kamen wir in ein Dorf, wo der Bürgermeister wusste, was Alain war. Der dumme Alain hatte vergessen, dass er dort schon mal gewesen war und die Frau des Bürgermeisters ausgesaugt hatte! Und so ergriffen ihn die Dorfbewohner und bannten ihn mit einer Silberkette. Dass es so etwas in einem so kleinen Dorf überhaupt gab, war schon erstaunlich genug, kann ich Ihnen sagen... Sie warfen ihn in eine Hütte, wo er bleiben sollte, bis der Dorfpriester von einer Reise wiederkam. Dann wollten sie ihn mit irgendeiner kirchlichen Zeremonie der Sonne aussetzen. Es war ein armes Dorf, doch sie stapelten alle vorhandenen Silberstücke und allen Knoblauch über ihm auf, um ihn unter Kontrolle zu halten.« Die Königin lachte in sich hinein.
»Sie wussten, dass ich ein Mensch war und er mich missbraucht hatte«, sagte sie. »Also haben sie mich nicht gefesselt. Die Familie des Bürgermeisters überlegte sich, mich als Dienerin zu behalten, da sie ja eine Frau an den Vampir verloren hatte. Was das bedeuten würde, wusste ich.«
Der Ausdruck in ihrem Gesicht war beides zugleich, herzzerreißend und eiskalt. Ich blieb ganz reglos.
»In der Nacht zog ich einige lose Holzbretter an der Rückwand der Hütte heraus und kroch hinein. Ich sagte zu Alain, ich würde ihn befreien, wenn er mich herüberholte. Wir verhandelten eine ganze Weile, dann war er endlich einverstanden. Ich grub ein Loch in die Erde, groß genug für mich. Es war geplant, dass Alain mich aussaugen, begraben, den Erdboden wieder glatt streichen und sein Strohlager darüberbreiten sollte. Dazu konnte er sich gut genug bewegen. In der dritten Nacht würde ich wieder auferstehen, seine Kette zerreißen und den Knoblauch wegwerfen, auch wenn ich mir dabei die Hände verbrennen würde. Und wir würden fliehen.« Sie lachte laut auf. »Doch der Priester kam von seiner Reise wieder, ehe drei Tage vorüber waren. Als ich mir meinen Weg durch den Schmutz freischaufelte, war Alain nur noch schwarze Asche im Wind. Es war die Hütte des Priesters, in der sie Alain gefangen gesetzt hatten, und der alte
Weitere Kostenlose Bücher