Ball der Vampire
aber er hatte sich ja auch gleich zu Anfang wohlweislich in einen Gartenstuhl gesetzt. Auf Amelias wortloses Zeichen hin begannen sie den Zauber aufzulösen, und nach und nach verzog sich die unheimliche Atmosphäre. Damit wurde aus den ziemlich machtlosen Augenzeugen einer magischen Rekonstruktion wieder ein zusammengewürfelter Haufen mehr oder weniger seltsamer Gestalten, die in einem Hof in New Orleans herumstanden.
Amelia ging zu dem Geräteschuppen in der Ecke hinüber und holte einige Klappstühle heraus. Sigebert und Wybert verstanden den Mechanismus nicht, also stellten Amelia und Bob die Stühle auf. Nachdem die Königin und die Hexen Platz genommen hatten, stand noch ein freier Stuhl da, und nach einigem schweigenden Hin und Her zwischen mir und den vier Vampiren setzte ich mich schließlich.
»Was in der nächsten Nacht passierte, wissen wir ja«, sagte ich müde. Ich fühlte mich etwas albern in meinem schicken Kleid und den hochhackigen Sandalen und freute mich schon jetzt darauf, wieder meine normalen Klamotten anzuziehen.
»Äh, 'tschuldigung, Sie vielleicht, aber wir anderen nicht, und wir würden's auch gern erfahren«, erwiderte Bob. Ihm schien gar nicht bewusst zu sein, dass er in der Gegenwart der Königin eigentlich respektvoll erzittern müsste.
Auch wenn er aussah wie ein langweiliger Strebertyp, hatte dieser junge Hexer doch etwas Liebenswertes an sich. Er und die anderen drei Hexen hatten unglaublich hart gearbeitet, und es sprach nichts dagegen, dass sie die restliche Geschichte erfahren sollten. Die Königin erhob auch keine Einwände. Sogar Jade Flower, die ihr Schwert wieder in der Scheide versenkt hatte, zeigte einen Anflug von Interesse.
»In der nächsten Nacht hat Waldo Hadley auf den Friedhof gelockt, mit der Geschichte von Marie Laveaus Grab und der Vampirtradition, dass die Toten die Toten wiederauferstehen lassen können - in diesem Fall die Voodookönigin Marie Laveau. Hadley wollte Marie Laveau bitten, ihre Fragen zu beantworten, denn Waldo hatte ihr erzählt, das sei möglich, wenn das Ritual korrekt ausgeführt würde. Obwohl Waldo mir bei unserer Begegnung einen Grund nannte, aus dem Hadley sich angeblich darauf einließ, weiß ich jetzt, dass er gelogen hat. Und ich kann mir einige andere Gründe vorstellen, warum sie mit Waldo auf den St.-Louis-Friedhof ging«, sagte ich. Die Königin nickte schweigend. »Ich glaube, sie wollte wissen, wie Jake sich verhalten würde, wenn er erwachte. Sie wollte einen Rat, was sie mit ihm machen sollte. Sie konnte ihn nicht einfach sterben lassen, das haben wir ja alle gesehen. Aber sie wollte niemandem gegenüber zugeben, dass sie einen Vampir geschaffen hatte, schon gar nicht einen, der vorher ein Werwolf gewesen war.«
Ich hatte richtig Publikum. Sigebert und Wybert hockten auf der einen Seite der Königin und waren ganz gefangen genommen von der Geschichte. Für sie war das bestimmt so was wie Kino. Die Hexen waren auch höchst interessiert, die Zusammenhänge der Ereignisse zu erfahren, deren Zeuge sie eben geworden waren. Und selbst Jade Flower hatte ihren Blick aufmerksam auf mich gerichtet. Nur Andre schien immun zu sein, er kümmerte sich um seinen Job als Bodyguard und suchte mit den Augen ständig Innenhof und Himmel auf mögliche Angreifer ab.
»Es könnte auch sein, dass Hadley vom Geist Marie Laveaus erfahren wollte, wie sie die ungeteilte Liebe der Königin wiedererlangen könnte. Pardon, Ma'am«, fügte ich schnell hinzu, da mir zu spät einfiel, dass die Königin ja keinen Meter entfernt von mir auf einem Gartenklappstuhl saß, an dem noch das Preisschild von Wal-Mart baumelte.
Die Königin machte eine nachlässige Handbewegung. Sie war so tief in Gedanken versunken, dass ich mir nicht mal sicher war, ob sie mir zugehört hatte.
»Nicht Waldo hat versucht, Jake Purifoy umzubringen«, sagte die Königin zu meinem großen Erstaunen. »Waldo hätte nicht damit gerechnet, dass diese kluge Hexe hier, nachdem er Hadley getötet und die Schuld der Bruderschaft der Sonne zugeschoben hatte, das Apartment mit einem Tempus-Stasis-Zauber versiegeln würde. Waldo hatte bereits einen Plan. Wer immer Jake getötet hat, hatte einen anderen Plan - vielleicht sollte Hadley die Schuld an Jakes Tod und Wiedergeburt gegeben werden ... was sie in eine Vampirzelle im Gefängnis gebracht hätte. Oder der Mörder hoffte, dass Jake Hadley töten würde, wenn er nach drei Tagen auferstand ... was er vermutlich sogar getan hätte.«
Amelia
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