Ball der Vampire
kennt? Wahrscheinlich war's einer von denen .
Und so ging es immer weiter, eine ganze Litanei harmloser Gedanken. Die Kinder dachten an Snacks und Fernsehen, waren aber auch verängstigt. Und die meisten Erwachsenen hatten Angst um ihre eigenen Kinder und machten sich Sorgen darum, welche Auswirkungen Codys Verschwinden auf ihre Familien und ihre Schulklassen haben würde.
Da sagte plötzlich Andy Bellefleur: »Sheriff Dearborn ist in einer Minute hier, und dann teilen wir Sie zur Befragung in zwei Gruppen auf.«
Die Lehrerinnen entspannten sich. Das waren vertraute Anweisungen, wie sie sie selbst oft genug gaben.
»Wir werden Sie einzeln befragen, danach können Sie nach Hause gehen. Ich weiß, dass Sie sich Sorgen machen. Streifenpolizisten suchen bereits die Gegend ab, aber vielleicht kann uns ja einer von Ihnen einen Hinweis geben, der uns hilft, Cody schnell wiederzufinden.«
Mrs Garfield kam herein. Ihre Sorge schwebte wie eine große dunkle Wolke voller Donnergrollen vor ihr her. Und gleich danach trat Miss Maddy ein. Ich konnte die Räder ihres fahrbaren Wagens hören, der mit Mülleimer und Putzmitteln beladen war. Alle Gerüche, die sie umgaben, waren mir vertraut. Sie fing immer gleich nach dem Unterricht zu putzen an. Vermutlich war sie in einem der Klassenzimmer gewesen und hatte gar nichts gesehen. Mrs Garfield hatte vielleicht in ihrem Büro gesessen. Zu meiner Zeit hatte der Rektor, Mr Heffernan, immer mit der Aufsicht führenden Lehrerin draußen gestanden, bis alle Kinder gegangen waren, so dass die Eltern ihm zu den schulischen Fortschritten ihres Kindes Fragen stellen konnten ... oder auch zum Ausbleiben dieser Fortschritte.
Ich riskierte keinen Blick hinter dem staubigen Vorhang hervor, konnte aber den Weg der beiden auch so ganz gut verfolgen. Mrs Garfield war derart angespannt, dass es praktisch die Luft um sie herum verdichtete, und Miss Maddy war genauso intensiv von den Gerüchen der Putzmittel und dem Geräusch ihres Wagens eingehüllt. Sie fühlte sich ganz elend und wollte bloß zu ihrem gewohnten Tagesablauf zurückkehren. Maddy Pepper mochte vielleicht eine Frau von begrenzten geistigen Fähigkeiten sein, doch sie liebte ihren Job, denn darin fand sie ihre Selbstbestätigung.
Ich erfuhr eine ganze Menge, während ich so dasaß: Eine der Lehrerinnen war lesbisch, obwohl sie einen Ehemann und drei Kinder hatte; eine andere Lehrerin war schwanger, hatte es aber noch keinem gesagt; die meisten der Frauen (es gab keine männlichen Lehrer an der Grundschule) waren wegen ihrer vielen Verpflichtungen der Familie, dem Beruf und ihren Kirchengemeinden gegenüber extrem gestresst. Codys Lehrerin war sehr unglücklich, weil sie den kleinen Jungen gernhatte, auch wenn sie seine Mutter etwas seltsam fand. Aber sie war überzeugt, dass Holly sich wirklich bemühte, eine gute Mutter zu sein, und das milderte ihre Abneigung gegen Hollys Gothic-Aufmachung etwas.
Doch nichts von alldem half mir, etwas über Codys Verbleib zu erfahren, bis ich mich in Maddy Peppers Kopf hineinwagte.
Als Kenya hinter mir auftauchte, saß ich vornübergebeugt auf dem kleinen Plastikstuhl und hielt mir die Hand vor den Mund, damit ich nicht laut herausweinte. Ich war nicht fähig, aufzustehen und nach Andy oder jemand anderem zu suchen. Ich wusste, wo der Junge war.
»Andy schickt mich, um zu hören, ob du was herausgefunden hast«, flüsterte Kenya, die todunglücklich über diesen Auftrag war. Zwar mochte sie mich eigentlich ganz gern, aber sie glaubte nicht, dass ich der Polizei irgendwie behilflich sein konnte. Sie hielt Andy für einen Idioten, weil er seine Karriere aufs Spiel setzte, indem er mich hier heimlich hinter einen Vorhang setzte.
Und dann fing ich noch etwas auf, etwas ganz Schwaches und Mattes.
Ich sprang auf und packte Kenya bei den Schultern. »Seht in dem Mülleimer nach, in dem auf dem Putzwagen, sofort!«, sagte ich leise, aber (so hoffte ich) eindringlich genug, um Kenya zu alarmieren. »Er ist in dem Mülleimer, er lebt noch!«
Kenya war viel zu überlegt, um hinter dem Vorhang hervorzuschießen, von der Bühne herunterzuspringen und umgehend zum Mülleimer der Hausmeisterin zu rennen. Sie warf mir einen sehr, sehr langen Blick zu. Ich trat hinter dem Vorhang hervor und sah Kenya nach, als sie endlich die kleinen Stufen des Bühnenpodiums hinunterstieg und dorthin ging, wo Maddy Pepper saß und mit den Fingern nervös auf den Oberschenkeln trommelte. Miss Maddy brauchte eine Zigarette.
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