Ball der Vampire
nur »Miss Maddy« genannt wurde) saß auf einem Plastikstuhl gleich neben dem Haupteingang und hatte ihren fahrbaren Putzwagen neben sich abgestellt. Miss Maddy war schon seit Urzeiten Hausmeisterin. Sie war eine ziemlich langsame Frau, geistig, meine ich, aber sie arbeitete sehr hart und war absolut zuverlässig. Eigentlich sah sie noch immer genauso aus wie zu meiner Schulzeit: groß, stämmig und blass, mit langen, wasserstoffblond gefärbten Haaren. Sie rauchte eine Zigarette. Die Rektorin Mrs Garfield focht wegen dieser Angewohnheit schon seit Jahren Kämpfe mit Miss Maddy aus, die Miss Maddy stets gewann. Sie rauchte draußen, aber sie rauchte. Heute war Mrs Garfield diese schlechte Angewohnheit der Hausmeisterin vollkommen egal. Mrs Garfield, die Ehefrau eines Seelsorgers der Bischöflichen Methodistenkirche, trug ein senfgelbes Kostüm, hautfarbene Strümpfe und schwarze Pumps und war genauso angespannt wie Miss Maddy, aber viel weniger darauf bedacht, es zu verbergen.
Ich schlängelte mich durch die Menschenmenge nach vorn durch, unsicher, was ich tun sollte.
Andy sah mich und berührte Bud Dearborn an der Schulter. Bud hatte ein Handy am Ohr und drehte sich nach mir um. Ich nickte ihnen zu. Sheriff Dearborn war nicht gerade ein Freund von mir. Er war mit meinem Vater befreundet gewesen, aber für mich hatte er nie viel übrig. Für den Sheriff gab es nur zwei Kategorien Menschen: solche, die das Gesetz brachen und eingesperrt gehörten, und solche, die das nicht taten und noch frei herumlaufen durften. Noch, wohlgemerkt - denn von diesen waren die meisten wiederum eigentlich solche, die beim Gesetzesbruch bisher bloß noch nicht erwischt worden waren; davon war Bud Dearborn überzeugt. Ich gehörte für ihn irgendwo dazwischen. Er war sicher, dass ich irgendwas auf dem Kerbholz hatte, konnte aber einfach nicht herausfinden, was.
Andy mochte mich auch nicht besonders, aber er nahm mir meine telepathische Fähigkeit ab. Fast unmerklich nickte er mit dem Kopf nach links hinüber. Bud Dearborns Miene konnte ich nicht genau erkennen, doch er zog verärgert die Schultern hoch und beugte sich ein wenig vor. Seine ganze Körperhaltung ließ erkennen, dass er wütend auf seinen Detective war.
Ich löste mich aus der Menge besorgter und neugieriger Bürger und ging um den linken Gebäudeflügel herum hinter die Schule. Der Schulhof, so groß wie ein halbes Footballfeld, war von einem Zaun umgeben, dessen Tor üblicherweise mit Kette und Vorhängeschloss gesichert war. Es war geöffnet worden, wahrscheinlich für die suchenden Polizisten. Auf der anderen Straßenseite sah ich Kevin Pryor, den dünnen jungen Streifenpolizisten, der immer den 4000-Meter-Lauf beim Azalea-Festival gewann, vornüber gebeugt in einen Abwasserkanal spähen. Seine Kollegin Kenya, die so rund war wie Kevin dünn, stand drüben an der rechten Seite des Schulgebäudes, und ich konnte erkennen, wie sie immer wieder den Kopf drehte und alle angrenzenden Grundstücke mit Blicken absuchte.
Die Schule lag inmitten einer Wohngegend und nahm einen ganzen Block ein. Die ganz normalen Häuser rundum standen auf ebenso normalen Grundstücken. Es war die Art Wohngegend, wo es jede Menge Basketballkörbe, Fahrräder, bellende Hunde und mit Kinderkreide bemalte Auffahrten gab.
Heute waren alle Flächen mit einer hellen gelben Schicht überstäubt, die Pollenflugzeit hatte begonnen. Wenn man hier in der Stadt seinen Wagen in der Auffahrt mit Wasser abspritzte, bildete sich rund um den Gully ein gelber Rand. Katzenbäuche waren gelblich verfärbt, und die großen Hunde bekamen gelbe Pfoten. Und jeder zweite Mensch, den man traf, hatte rote Augen und in der Hand eine Packung Taschentücher.
Auch auf dem Schulhof sah ich einige liegen. Dort, wo die Kinder am häufigsten spielten, hatten sich im frischen Grün des Rasens schmutzig braune, festgetrampelte Stellen gebildet. Auf das betonierte Stück Hof direkt am Schulgebäude war eine riesige Landkarte Amerikas mit allen Bundesstaaten gemalt. Die Kinder hatten jeden einzelnen Namen sorgfältig und deutlich dazugeschrieben. Louisiana war als einziger Staat rot ausgemalt, innerhalb der Umrisse war ein Pelikan gezeichnet. Das lange Wort Louisiana hatte neben dem Pelikan keinen Platz mehr gehabt, und so war es auf das Pflaster danebengeschrieben worden, dorthin, wo sich eigentlich der Golf von Mexiko befand.
Andy kam aus dem Hintereingang, mit steinerer Miene. Er sah um zehn Jahre gealtert aus.
»Wie geht's
Weitere Kostenlose Bücher