Ball der Vampire
sie war zum Schluss die Letzte, die noch da war, zusammen mit ihren Enkeln.«
»Das ist ja furchtbar. David weiß vermutlich von nichts, oder?« Hollys Exmann David lebte in Springhill und hatte wieder geheiratet. Ich bemerkte, dass die Pelts gingen: ein Problem weniger.
»Anscheinend nicht. Holly hat bei ihm in der Arbeit angerufen, er war da, den ganzen Nachmittag. Er hat dann seine neue Frau angerufen, die gerade erst ihre eigenen Kinder von der Schule in Springhill abgeholt hatte. Die Polizei ist bei ihnen vorbeigefahren und hat nach Cody gesucht, nur um sicherzugehen. Jetzt ist David auf dem Weg hierher.«
Holly saß an einem der Tische, und auch wenn ihr Gesicht keine Spuren von Tränen zeigte, war der Ausdruck in ihren Augen entsetzlich. Danielle war neben ihr in die Hocke gegangen, hielt ihre Hand und sprach eindringlich und leise auf sie ein. Alcee Beck, einer der Detectives der örtlichen Polizei, saß am selben Tisch. Vor ihm lagen Block und Stift, und er sprach gerade in sein Handy.
»Hat die Polizei die Schule durchsucht?«
»Ja, Andy ist gerade dort. Und Kevin und Kenya auch.« Kevin und Kenya waren zwei uniformierte Streifenpolizisten. »Bud Dearborn telefoniert schon und lässt übers Radio und die Zeitungen Alarm im ganzen Landkreis geben.«
Einen Augenblick lang dachte ich daran, wie Halleigh sich wohl fühlen musste; sie war erst dreiundzwanzig, und dies war ihre erste Stelle als Lehrerin. Sie hatte nichts falsch gemacht, jedenfalls soweit ich es beurteilen konnte - doch wenn ein Kind vermisst wird, entgeht keiner den Schuldzuweisungen.
Ich überlegte, wie ich helfen könnte. Das war doch die Gelegenheit, meine kleine telepathische Behinderung mal für was Gutes einzusetzen. Seit Jahren schwieg ich über alle möglichen Dinge. Die Leute wollten nicht wissen, was ich wusste. Die Leute wollten mit einer, die eine so seltsame Gabe hatte, nichts zu tun haben. Und damit ich nicht ganz vereinsamte, hatte ich eben gelernt zu schweigen. Denn es fiel den Leuten ziemlich leicht, meine seltsame Begabung zu vergessen oder als Unsinn abzutun, wenn ich ihnen keine direkten Beweise vorlegte.
Würdet ihr mit einer Frau befreundet sein wollen, die weiß, dass ihr euren Freund betrügt und mit wem? Würdet ihr als Mann mit einer Frau zusammen sein wollen, die weiß, dass ihr davon träumt, Spitzenunterwäsche zu tragen? Würdet ihr mit einer Frau zu tun haben wollen, die eure geheimsten Ansichten über andere Leute kennt und all eure so sorgsam verborgenen Fehler?
Nein, ich schätze, das wollt ihr nicht.
Doch wenn es um ein kleines Kind ging, wie konnte ich mich da zurückhalten?
Ich sah Sam an, und traurig erwiderte er meinen Blick. »Ziemlich harte Entscheidung, was, chérie ?«, sagte er. »Was wirst du tun?«
»Was nötig ist, aber ich muss es sofort tun«, erwiderte ich.
Er nickte. »Geh zur Schule«, sagte Sam. Und so ging ich.
Kapitel 6
Ich wusste nicht, wie ich das machen sollte. Und ich wusste auch nicht, wer mir zugestehen würde, dass ich tatsächlich helfen konnte.
Vor der Grundschule hatte sich natürlich schon eine Menschenmenge versammelt. Ungefähr dreißig Erwachsene standen auf dem Grünstreifen, der den Bürgersteig von der Straße trennte, und Bud Dearborn, der Sheriff, sprach mit Andy Bellefleur auf dem Rasen direkt vor der Schule. Ich war auch auf die Betty-Ford-Grundschule gegangen. Damals war das Gebäude ziemlich neu gewesen, ein einfacher, einstöckiger Backsteinbau mit einem Hauptgebäude, in dem sich die Lehrerzimmer, ein Kindergarten, die Klassenräume der ersten Klasse und eine Cafeteria befanden. In den Flügeln rechts und links waren die Räume für die älteren Grundschüler untergebracht. Auf dem großen Schulhof hinter der Schule stand noch ein Freizeitgebäude, das über einen gepflasterten Fußweg zu erreichen war und bei schlechtem Wetter den Kindern als Turnhalle diente.
Vor der Schule standen natürlich Fahnenmasten, einer für die amerikanische Flagge und einer für die von Louisiana. Ich fuhr gern an der Schule vorbei, wenn bei einem Wetter wie heute die Flaggen knatternd im Wind wehten. Dann musste ich immer an all die kleinen Kinder denken, die dort drinnen so fleißig lernten. Doch heute waren die Flaggen eingeholt worden, nur die angebundenen Seile schlugen gegen die Masten. Den grünen Rasen vor der Schule sprenkelten hier und da bunte Bonbonpapiere oder zusammengeknüllte Blätter aus Schreibheften. Die Hausmeisterin Madelyn Pepper (die
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