Ball der Vampire
schon spuckt sie die richtigen Antworten aus«, fuhr Kevin fort. »Die Antworten müssen Sie selbst herausfinden. Es ist nicht richtig, so in Sookies Leben einzugreifen, nur damit Sie Ihren Job besser erledigen können.«
»Nun ja«, erwiderte Andy, wenig überzeugt. »Aber ich würde doch meinen, jede Bürgerin wäre froh, wenn ihre Stadt frei von Dieben, Vergewaltigern und Mördern wäre.«
»Was ist mit Ehebrechern oder Leuten, die mehr Zeitungen aus dem Ständer nehmen, als sie bezahlt haben? Soll ich die auch melden? Was ist mit Schülern, die bei Prüfungen schummeln?«
»Sookie, du weißt genau, was ich meine.« Andys Gesicht war bleich vor Wut.
»Klar weiß ich, was du meinst. Vergiss es. Ich habe dir geholfen, diesem Kind das Leben zu retten. Lass es bloß nicht so weit kommen, dass ich das bedaure.« Ich ging auf demselben Weg, den ich gekommen war, durch das hintere Tor und seitlich am Schulgebäude entlang bis in die Straße, wo ich mein Auto geparkt hatte. Auf dem Weg zurück zur Arbeit fuhr ich sehr vorsichtig, denn ich zitterte noch immer am ganzen Leib von all den intensiven Gefühlen, die an diesem Nachmittag in der Schule wie Wellen durch mich hindurchgegangen waren.
Holly und Danielle waren weg, als ich im Merlotte's ankam - Holly war zu ihrem Sohn ins Krankenhaus geeilt, und Danielle hatte sie hingefahren, weil Holly so furchtbar aufgeregt gewesen war.
»Die Polizei hätte Holly auch hingebracht«, sagte Sam. »Aber ich weiß ja, dass Holly niemanden außer Danielle hat, und da dachte ich, dann könnte ich Danielle auch gleich mitgehen lassen.«
»Was natürlich heißt, dass ich allein bedienen muss«, erwiderte ich zickig. Irgendwie kam es mir vor, als sollte ich dafür, dass ich Holly geholfen hatte, gleich doppelt bestraft werden.
Er lächelte mich an, und eine Sekunde lang konnte ich nicht anders, ich musste zurücklächeln. »Ich habe Tanya Grissom angerufen. Sie sagt, sie springt gern ein und hilft uns aus.«
Tanya Grissom war erst vor kurzem nach Bon Temps gezogen und geradewegs ins Merlotte's spaziert, um sich zu bewerben. Mit dem Kellnern hatte sie sich die Collegezeit finanziert und pro Abend bis zu zweihundert Dollar Trinkgeld gemacht. So etwas würde es in Bon Temps nie geben, das hatte ich ihr gleich offen gesagt.
»Hast du nicht zuerst Arlene und Charlsie angerufen?«
Okay, jetzt war ich zu weit gegangen. Ich war hier nur Kellnerin/Barmädchen, das Merlotte's gehörte mir nicht. Es stand mir nicht zu, Sam zu fragen, ob er zuerst die Frauen angerufen hatte, die schon länger dabei waren, ehe er sich an die Neue wandte. Tanya Grissom war eindeutig eine Gestaltwandlerin, und ich fürchtete, Sam könnte sie deshalb vielleicht vorziehen.
Sam wirkte kein bisschen verärgert, sondern sprach ganz sachlich. »Doch, die habe ich natürlich zuerst angerufen. Arlene hat eine Verabredung, und Charlsie passt auf ihr Enkelkind auf. Sie lässt immer deutlicher durchblicken, dass sie nicht mehr lange arbeiten will. Ich glaube, sie wird sich wohl ganz um das Baby kümmern, wenn ihre Schwiegertochter wieder zu arbeiten beginnt.«
»Oh«, sagte ich bedrückt. An eine Neue würde ich mich erst gewöhnen müssen. Klar, Kellnerinnen kommen und gehen, und ich hatte schon so einige durch den Angestellteneingang des Merlotte's gehen sehen in den - meine Güte - inzwischen fünf Jahren, die ich für Sam arbeitete. Das Merlotte's hatte unter der Woche bis Mitternacht offen und am Freitag und Samstag bis eins. Eine Zeitlang hatte Sam auch am Sonntag geöffnet, aber das lohnte sich nicht. Jetzt war der Sonntag der Ruhetag im Merlotte's, falls die Bar nicht für ein privates Fest gemietet wurde.
Sam achtete darauf, dass unsere Arbeitszeiten wechselten, so dass jede mal die einträglichere Spätschicht machen konnte. Daher arbeitete ich an manchen Tagen von elf bis fünf Uhr nachmittags (oder bis halb sieben, wenn besonders viel los ist) und an anderen Tagen von fünf bis das Merlotte's schloss. Mit den Arbeitszeiten und -tagen hatte er so lange herumprobiert, bis wir uns alle auf eine Regelung geeinigt hatten, die am besten funktionierte. Sam erwartete etwas Flexibilität von uns, dafür war er aber auch großzügig, wenn es um freie Zeit für Beerdigungen, Hochzeiten oder andere denkwürdige Anlässe ging.
Ich hatte schon einige Jobs gehabt, ehe ich bei Sam anfing. Er war bei weitem der unkomplizierteste Boss, für den ich je gearbeitet hatte. Und inzwischen war er viel mehr geworden als nur ein
Weitere Kostenlose Bücher