Ball der Vampire
sie weit weg zu sein und sah so wehmütig aus, wie es einem Vampir nur möglich war. Dann rief sie sich wieder in die Gegenwart zurück. »Hadley war keine schlechte Vampirin, sie war ja noch so jung. Aber sie hielt ihr ewiges Untotsein für zu selbstverständlich.« Melanie schüttelte den Kopf. »Sie hätte nie einen so alten und gerissenen Vampir wie Waldo provozieren dürfen.«
»So viel ist mal sicher«, erwiderte ich.
»Chester«, rief Melanie. Chester war der nächste Wachmann in der Reihe, und bei ihm stand eine vertraute Gestalt, die auch in der schwarzen Kluft der Sicherheitsleute steckte.
»Bubba!«, rief ich, und gleichzeitig sagte der Vampir: »Miss Sookie!« Bubba und ich umarmten uns, zum großen Amüsement der anderen Vampire. Vampire geben sich üblicherweise nicht mal die Hand, und Umarmungen wirken höchst überspannt in ihrer Kultur.
Zum Glück hatten sie ihm keine Waffe gegeben, nur die restliche Ausrüstung der Sicherheitsleute. Er sah klasse aus in der Uniform, und das sagte ich ihm auch. »Schwarz passt wirklich gut zu deiner Haarfarbe«, sagte ich, und Bubba lächelte sein berühmtes Lächeln.
»Mächtig nett von Ihnen, Miss Sookie«, erwiderte er. »Vielen, vielen Dank.«
Damals, als Bubba noch tagsüber unterwegs war, hatte jeder auf der Welt sein berühmtes Lächeln gekannt. Doch dann war er im Leichenschauhaus von Memphis gelandet, und der Aufwärter, zufällig ein Vampir, hatte noch einen winzigen Funken Leben in ihm entdeckt. Als echter Fan von › Love Me Tender ‹ übernahm er die Verantwortung für den Übergang des Sängers, und eine Legende war geboren. Unglücklicherweise war Bubbas Körper aber so mit Tabletten und anderem Zeug vollgestopft gewesen, dass die Prozedur nicht ganz erfolgreich verlief, und jetzt schob die gesamte Südstaaten-Vampir-Gemeinde Bubba als den PR-Albtraum herum, der er war.
»Wie lange bist du schon hier, Bubba?«
»Oh, zwei Wochen, es gefällt mir richtig gut«, erzählte er bereitwillig. »Hier gibt's jede Menge streunende Katzen.«
»Ah ja«, sagte ich und versuchte, es mir nicht zu bildhaft vorzustellen. Ich mochte Katzen sehr gern. Bubba auch, aber auf eine ganz andere Weise.
»Wenn ein Mensch ihn mal entdeckt, glaubt er, es sei ein Imitator«, sagte Chester leise. Melanie war wieder auf ihren Posten gegangen, und jetzt war ich in Chesters Obhut gelandet, der bei seinem Übergang ein sandblonder junger Hinterwäldler mit schlechten Zähnen gewesen war. »Das ist meistens schon okay. Aber manchmal nennen sie ihn bei seinem einstigen Namen. Oder sie bitten ihn zu singen.«
Bubba sang inzwischen nur noch sehr selten, auch wenn er sich hin und wieder überreden ließ, ein oder zwei bekannte Songs zum Besten zu geben. Das war jedes Mal ein denkwürdiges Ereignis. Meistens bestritt er jedoch, dass er auch nur eine Note fehlerfrei singen könne, und er regte sich immer fürchterlich auf, wenn man ihn mit seinem richtigen Namen ansprach.
Er zuckelte hinter uns her, als Chester mich weiter ins Gebäude führte. Wir waren abgebogen, ein Stockwerk höher gegangen und trafen auf mehr und mehr Vampire - und ein paar Menschen -, die mit wichtiger Miene geschäftig an uns vorbeieilten. Es war wie in jedem anderen Geschäftsgebäude an einem beliebigen Werktag auch, nur dass die Angestellten Vampire waren und der Himmel draußen so dunkel wie der Himmel über New Orleans nur werden konnte. Unterwegs fiel mir auf, dass einige Vampire gelassener wirkten als andere. Die gestressteren Vampire trugen alle die gleiche Anstecknadel am Kragen, eine Anstecknadel in Form des Staates Arkansas. Das mussten Mitglieder aus dem Gefolge des Ehemanns der Königin, Peter Threadgill, sein. Als ein Louisiana-Vampir zufällig mal einen Arkansas-Vampir anstieß, fauchte der aus Arkansas den anderen wütend an, und einen Augenblick lang glaubte ich, es würde wegen dieser Nichtigkeit einen handfesten Kampf auf dem Büroflur geben.
Puh, wenn ich hier bloß erst wieder raus wäre. Die Atmosphäre war ziemlich angespannt.
Chester blieb schließlich vor einer Tür stehen, die sich kein bisschen von all den anderen geschlossenen Türen unterschied, wenn man von den beiden großen Vampir-Schlägertypen davor absah. Die beiden mussten zu ihrer Zeit wahre Riesen gewesen sein, denn sie waren über 1,90 Meter groß. Sie sahen aus wie Brüder, aber vielleicht legten nur ihre Größe, ihre Mienen und ihre kastanienbraunen Haare diese Vermutung nahe: wuchtig wie Felsbrocken, bärtig und
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