Ball der Vampire
das sagt sie vorher nicht«, sagte Sigebert achselzuckend und gab zu erkennen, dass ihnen da wohl doch etwas Entscheidendes entgangen war. »Wir fragen nicht viel. Vor lauter Begier!« Und er lächelte. O Schreck! Nichts ist gruseliger als ein Vampir, dem nur noch die Fangzähne im Mund geblieben sind. Chesters vollzählige Sammlung krummer und schiefer Exemplare hatte einfach super ausgesehen im Vergleich dazu.
»Das muss vor sehr langer Zeit gewesen sein«, sagte ich, denn mir fiel nichts anderes ein. »Seit wann arbeiten Sie denn für die Königin?«
Sigebert und Wybert sahen einander an. »Seit der Nacht«, erwiderte Wybert erstaunt, weil ich es nicht begriffen hatte. »Sie hat uns.«
Mein Respekt, und vielleicht auch meine Furcht, vor der Königin stieg enorm. Sophie-Anne - wenn das überhaupt ihr richtiger Name war - hatte mutig, strategisch und energisch ihre Karriere als Vampirkönigin betrieben. Sie hatte die beiden zu Vampiren gemacht und bei sich behalten, in einer Bindung, die - so hatte mir der Mann, dessen Namen ich nicht mal mehr mir selbst gegenüber aussprach, erklärt - stärker war als jede andere emotionale Beziehung, für einen Vampir jedenfalls.
Erleichtert sah ich, dass das Licht an der Wand grün aufleuchtete.
Sigebert sagte nur: »Nun« und drückte die schwere Tür auf. Er und Wybert nickten mir zum Abschied simultan zu, als ich über die Türschwelle einen Raum betrat, der wie ein beliebiges Chefbüro irgendwo auf der Welt aussah.
Sophie-Anne Leclerq, die Königin von Louisiana, und ein Vampir saßen an einem runden Tisch, auf dem sich Papiere stapelten. Ich war der Königin schon einmal begegnet, als sie zu mir nach Hause kam, um mir vom Tod meiner Cousine zu berichten. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gar nicht bemerkt, wie jung sie bei ihrem Tod noch gewesen sein musste, vermutlich nicht viel älter als fünfzehn. Sie war eine elegante Frau, vielleicht zehn Zentimeter kleiner als ich und perfekt bis zur letzten Wimper gestylt. Make-up, Kleid, Frisur, Strümpfe, Schmuck - das ganze Programm.
Der Vampir am Tisch bei ihr war ihr männliches Pendant. Er trug einen Anzug, dessen Gegenwert meine Rechnung fürs Kabelfernsehen ein ganzes Jahr lang beglichen hätte, und er war sorgfältig rasiert, manikürt und parfümiert. Bei mir draußen auf dem Land bekam ich selten so gepflegte Männer zu Gesicht. Ich vermutete, dass dies der neue König war, und fragte mich, ob er in diesem Zustand gestorben war. Oder hatte das Beerdigungsinstitut ihn für die Beerdigung so hergerichtet, ohne zu wissen, dass sein Abstieg unter die Erde nur zeitlich begrenzt war? Wenn das stimmte, dann war er jünger als seine Königin. Vielleicht war das Alter nicht das ausschlaggebende Kriterium, wenn man zu königlichen Würden kommen wollte.
Außer den beiden waren noch zwei andere im Raum. Ein kleiner Mann mit kurzem, weißblondem Haar und hellblauen Augen, der in einigem Abstand hinter dem Stuhl der Königin stand, breitbeinig und die Hände vor sich gefaltet. Seinem Gesicht fehlte die Reife, er sah aus wie ein großes Kind, hatte aber die breiten Schultern eines Mannes. Er trug einen Anzug und war bewaffnet mit Säbel und Pistole.
Hinter dem am Tisch sitzenden Mann stand eine ganz in Rot gekleidete Vampirin in langen Hosen, T-Shirt und Converse-Turnschuhen. Eine unglückliche Wahl, denn Rot war so gar nicht ihre Farbe. Sie war Asiatin, ich vermutete, aus Vietnam - auch wenn das damals wohl noch anders geheißen hatte. Ihre Fingernägel waren sehr kurz, und auf dem Rücken trug sie ein furchterregendes Schwert. Ihr Haar war anscheinend mit einer stumpfen Schere auf Kinnlänge abgeschnitten worden, und sie zeigte uns ihr Gesicht ungeschminkt, wie Gott es geschaffen hatte.
Da mich niemand in Fragen des Protokolls eingewiesen hatte, neigte ich den Kopf vor der Königin, sagte: »Schön, Sie wiederzusehen, Ma'am« und versuchte, dem König einen freundlichen Blick zuzuwerfen, während ich ihm auf dieselbe Weise zunickte. Die beiden Stehenden, wohl Diener oder Bodyguards, grüßte ich mit einem knapperen Kopfnicken. Es kam mir ziemlich idiotisch vor, aber ich wollte sie nicht ignorieren. Sie hatten allerdings kein Problem damit, mich zu ignorieren, nachdem sie mich von oben bis unten gemustert hatten.
»Sie haben schon einige Abenteuer in New Orleans erlebt«, begann die Königin, ein unverfänglicher Gesprächsauftakt. Sie lächelte nicht, aber ich hatte sowieso den Eindruck, dass sie nicht der ständig lächelnde Typ
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