Ball der Versuchung
lange warten«, sagte er. »Amelie, du solltest deinen Haustieren wirklich Manieren beibringen. Ehe du dich versiehst, zerfetzen sie den Teppich und markieren die Gardinen.«
Sie schaute nicht auf. »Versuch bitte, höflich zu sein«, antwortete sie. »Du bist Gast in ihrem Haus. In meinem Haus.« Sie rückte eine Figur auf dem Schachbrett vor. »Setzt euch alle. Ich mag es nicht, wenn Leute stehen.«
Das hatte die Wirkung eines königlichen Befehls, und bevor sie darüber nachdenken konnte, schlüpfte Claire auf einen der Esszimmerstühle und Shane setzte sich neben sie. Eve zögerte, dann nahm sie den Stuhl, der so weit wie möglich von Oliver entfernt war.
Jetzt gab es nur noch einen freien Stuhl, direkt neben Oliver. Michael schüttelte den Kopf, verschränkte die Arme über der Brust und lehnte sich gegen die Wand.
Amelie warf ihm einen Blick zu, drängte ihn aber nicht. »Ihr habt also Mr Bishop kennengelernt. Und ganz gewiss hat er euch auch kennengelernt. Ich wünschte, das wäre nicht geschehen, aber da es nun mal so ist, müssen wir Mittel und Wege finden, euch vor ihm und seinen Verbündeten zu schützen.« Oliver schlug einen ihrer Läufer und legte ihn beiseite. Sie zeigte keine Reaktion. »Wenn nicht, wird dieses Haus bald für neue Mieter auf dem Markt sein.«
Oliver lachte. Als Amelie ihren nächsten Zug machte, hörte er auf zu lachen und konzentrierte sich mit grimmiger, ausdrucksloser Miene auf das Schachbrett.
»Wer ist Bishop?«, fragte Michael.
»Genau das, was er sagt. Er hat keinen Anlass zu lügen.«
»Er ist also Ihr Vater?«, fragte Claire. Es folgte eine lange Stille, die nicht einmal von Oliver unterbrochen wurde; Amelie hob ihre kühlen grauen Augen und fixierte Claire, bis sie das dringende Bedürfnis hatte, nicht nur wegzuschauen, sondern auch wegzulaufen .
Schließlich sagte Amelie: »In gewissem Sinne, soweit du diese Dinge überhaupt verstehen kannst. Sowohl meine menschliche als auch meine unsterbliche Blutlinie fließen durch ihn hindurch. Oliver, beeil dich. Ich würde gern vor Sonnenaufgang nach Hause gehen.«
Die Sonne würde noch lange nicht aufgehen, das musste wohl Amelies Vorstellung von einem knochentrockenen Witz gewesen sein. Oliver rückte einen Bauer vor. Amelie nahm ihn mühelos aus dem Spiel.
»Vielleicht sollte man besser fragen, wo Mr Bishop ist«, klinkte sich Michael in das Gespräch ein.
»Gegangen«, sagte Oliver. »Ich habe ihn in eine hübsche Limousine mit Chauffeur verfrachtet. Er wird in einem der Gründerinnen-Häuser übernachten.«
»In welchem?« Claire fühlte sich plötzlich elend und das verschlimmerte sich, als keiner der Vampire antwortete. »Aber nicht im Haus meiner Eltern, oder? Oder?«
»Ich ziehe es vor, dir seinen genauen Aufenthaltsort nicht mitzuteilen«, sagte Amelie, was keine Antwort und schon gar nicht die richtige war. Sie schob ihre weiße Königin mit einem langen, wohlüberlegten Zug über das Schachbrett. »Schachmatt.«
Oliver studierte erst das Schachbrett, dann mit der gleichen Verärgerung. Amelie und stieß schließlich seinen dem Untergeweihten schwarzen König um. »Wir müssen das besprechen«, sagte er. »Eindeutig.«
»Deinen tragischen Mangel an strategischem Geschick? Amelie zog langsam ihre frostfarbenen Brauen hoch. »Ich denke besser darüber nach, was wir mit unseren Gästen machen. Geh jetzt nach Hause, Oliver. Und danke, dass du gekommen bist.«
Sie sagte das ohne einen Hauch von Ironie - sie konnte ihn wie einen Diener entlassen, aber immerhin bedankte sie sich bei ihm. Olivers Augen verfinsterten sich, aber er stand kommentarlos auf und ging in die Küche. Claire hörte, wie die Tür hinter ihm zuschlug.
Amelie holte bedächtig Luft, dann atmete sie aus. Sie stand auf und nickte Michael zu. »Ich denke, ihr seid heute Nacht hier sicher genug«, sagte sie. »Lasst niemanden herein, ganz gleich, welche Gründe er hat.« Ein rasches, fast unsichtbares Lächeln flackerte in ihrem Gesicht auf. »Mich natürlich ausgenommen. Mich könnt ihr nicht aufhalten.«
»Was ist mit Oliver?«, fragte Shane.
»Seine Einladung einzutreten wurde widerrufen. Er kann euch nicht mehr belästigen, es sei denn, ihr tut etwas Törichtes.« Was Amelies Blick nach, den sie ihm dabei zuwarf, durchaus möglich war. »Bishop ist meine Sache, nicht eure. Kümmert euch um eure eigenen Angelegenheiten und haltet euch da raus. Ihr alle.«
»Warten Sie, meine Eltern... „
Amelie wartete nicht. Ruhig und elegant verließ
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