Ball der Versuchung
natürlich Amelie und Bishop. Amelie trat als Erste von rechts auf die Bühne, eine glitzernde Skulptur in einem Weiß, das so kalt war, dass es in den Augen schmerzte. Sie war als eine Art Eisgeist gekommen, was in vielerlei Hinsicht passend war. Ihr platinblondes Haar war zu einem Kristallturm verflochten und sie sah zart und zerbrechlich aus.
An ihrem Arm war Jason Rosser . Zumindest glaubte Claire, dass es Jason war. Sie hatte ihn noch nie frisch gebadet und mit einem Haarschnitt gesehen, aber sie erkannte ihn an den hängenden Schultern und am Gang, wenn auch sonst an nichts. Er trug eine braune Mönchskutte mit Kapuze. Sie hat jemanden ausgewählt, den sie entbehren kann, dachte Claire. Deshalb hat sie nicht mich mitgenommen. Das hätte sie darüber hinwegtrösten sollen, dass sie übergangen wurde, aber irgendwie tat es das nicht.
Bishop betrat von links die Bühne. Er war ganz in bischöfliches Violett gekleidet, er trug nämlich - wie konnte es anders sein? - ein Bischofsgewand; ohne Kreuz. Er hatte sogar einen hohen Hut, eine Mitra.
An seiner Seite ging ein Engel. Zumindest eine Frau, die als Engel verkleidet war, mit filigranen weißen Federflügeln, die größer waren als sie und hinter ihr über den Boden glitten. Claire schlug beide Hände vor den Mund, um den Schrei zurückzuhalten, der ihr zu entfahren drohte.
Es war ihre Mutter .
»Ruhig«, sagte Myrnin. Seine kühle Hand drückte ihren Arm. »Was habe ich dir gesagt? Beherrsch dich! Wir haben noch viel vor uns.«
Sie wollte nicht auf ihn hören. Sie wollte ihre Mutter, ihren Vater, Shane, Michael und Eve. Sie wollte hier raus, sie wollte Morganville hinter sich lassen und immer weiter gehen.
Sie wollte nicht mehr hier sein.
Andere Gäste belegten die freien Plätze an ihrem Tisch und zwei davon waren Charles und Miranda. Miranda sah schrecklich jung und bleich aus mit ihren Schlangenhaaren und dem griechischen Gewand. Sie setzte sich neben Claire und ergriff unter der Tischdecke ihre Hand. Claire ließ es zu. Mirandas Hand fühlte sich so kühl an wie Myrnins und war vor Angst feuchtkalt.
»Es wird geschehen«, sagte Miranda. »All das Blut. All die Angst. Es wird wirklich geschehen.«
»Sei still«, sagte Charles, der neben ihr saß. Er machte eine Kopfbewegung zu ihrem Teller hin. »Iss. Rindfleisch stärkt dich.«
Miranda stocherte ebenso wie Claire an der Hochrippe auf ihrem Teller herum. Claire probierte einen Bissen davon. Es war gut - rauchig, zart, nicht zu warm und nicht zu kalt -, aber sie hatte keinen Appetit. Myrnin ließ es sich mit beängstigender Leidenschaft schmecken. Sie fragte sich, wie lange es wohl schon her ist, dass er eine richtige Mahlzeit gegessen oder Lust darauf gehabt hatte. Das warf eine ganze Reihe von Fragen auf - waren Vegetarier unter den Gästen? Waren die Vampire auf Lebensmittelallergien eingerichtet? Während sie lustlos an ihrem Brot knabberte, sah sie, wie Amelie zu ihnen herüberstarrte. Aus dieser Entfernung konnte man ihren Gesichtsausdruck nicht wirklich erkennen, aber Claire war sich sicher, dass sie nicht erfreut aussah.
»Ich glaube, Amelie wird uns hinauswerfen lassen«, sagte sie zu Myrnin. Er kaute seinen letzten Bissen Hochrippe.
»Das wird sie nicht«, sagte er absolut selbstsicher. »Isst du das nicht mehr?«
Claire gab auf und reichte ihren Teller weiter. Myrnin begann, das Fleisch zu zerschneiden.
»Amelie kann es sich nicht leisten. eine Szene zu machen«, sagte er. »Und zweifellos wird es Bishop amüsieren, mich hier zuhaben.«
Er schien wieder seltsam zu sein, beinahe glücklich. Claire beäugte ihn misstrauisch. »Geht es Ihnen wirklich gut?«
»So gut wie noch nie«, sagte er. »Ah, Nachtisch!«
Die Diener - Claire erhaschte immer nur einen flüchtigen Blick auf sie, deshalb mussten es wohl Vampire sein - servierten jedem ein vornehmes kleines Martini-Glas mit Beeren und Sahne. Beeren mit Sahne konnte nicht einmal Claire widerstehen. Sie aß das ganze Glas leer, dazwischen starrte sie zu Shane hinüber, um zu sehen, ob er etwas aß. Sie glaubte nicht. Er sich überhaupt nicht.
Als nach dem Essen Getränke serviert wurden - Blut für die Vamps, Champagner und Kaffee für die Hämoglobin-Allergiker -, fühlte Claire, wie ihre Unruhe noch weiter wuchs. Das Gemurmel im Saal nahm zu und sie spürte eine Woge der Aufregung. »Myrnin? Was geschieht jetzt?«
Mirandas Hand grapschte wieder nach ihrer und drückte sie so fest, dass Claire beinahe gequietscht hätte.
»Es
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