Balla Balla
›Hamlet‹ schlich sich in sein Gedächtnis ein, das Theater, er als der dänische Königssohn, irgendwann Ende der 90er-Jahre, Stadttheater Konstanz. »Sein oder nicht sein, das ist hier die Frage.« Wie spricht man das heutzutage, kann man das überhaupt noch – sprechen? Er, Plotek, in der Inszenierung damals, konnte es nicht. Er hatte die Worte gesummt und Unverständnis geerntet, zuerst von den Zuschauern, dann von den Kollegen und zuletzt vom Regisseur. Der Grund: Sein Einfall war nicht abgesprochen. Einfach mal was anderes ausprobieren, hatte Plotek damals ganz spontan gedacht, die ausgetretenen Wege verlassen, unkonventionell sein oder nicht sein. Nicht sprechen, summen. Aber vergiss es. Da waren sie eben alle viel zu humorlos. Gelacht hatte jedenfalls niemand. Eher im Gegenteil.
»Ist es richtig wenn 18-, 19-jährige Spieler schon so hohe Gehälter kassieren?«, fragte jetzt Rainer von Plorre ähnlich ernst.
Tja, was ist schon richtig? Die Vogelgrippe? Globalisierung? Großwetterlage, Führerschein mit siebzehn, Rente mit 67, 42-Stunden-Woche, die Stallpflicht, FCKW, das Ozonloch, der Atomsperrvertrag, Präimplantationsdiagnostik, Hund, Katze, Maus?
Und was ist falsch? Die Vogelgrippe? Globalisierung? Großwetterlage, Führerschein mit siebzehn, Rente mit 67, 42-Stunden-Woche, die Stallpflicht, FCKW, das Ozonloch, der Atomsperrvertrag, Präimplantationsdiagnostik, Hund, Katze, Maus?
Wer weiß?
»Das schafft doch Neid und Missgunst und dergleichen, oder?« Von Plorre setzte noch eins drauf.
»Die Neid-Debatte haben wir ja nicht nur beim Fußball«, mischte sich Dosensuppenhersteller Stadelmaier jetzt ein und rückte dabei seine Designerbrille auf der Nase zurecht. »Das ist ja in der ganzen Gesellschaft so.«
»Warum soll das dann beim Fußball anders sein«, kam ihm Arno Brunner ein wenig kurzatmig zu Hilfe.
»Geht es im Fußball nur noch um Geld?«, fragte jetzt von Plorre.
Die Runde verneinte kollektiv, Plotek nickte entschlossen.
Natürlich geht es um Geld, zumindest bei denen da in der Runde, dachte Plotek. Ausschließlich. Vielleicht geht es dem Rauschebart auf der Tribüne im Stadion mit seiner verbotenen Substanz in der Zigarette um Fußball, Athletik, Technik, Taktik, Ausdauer, Ästhetik, Lebensgefühl und alles, ja, kann sein, aber denen da in der Glotze geht es genauso glaubwürdig um Fußball wie der katholischen Kirche um die Vergebung der Sünden und um einen Platz im Himmelreich. Und dann dachte Plotek plötzlich, seltsam, die Erinnerung ist jetzt doch wieder zurück. Zumindest konnte er sich an den Rauschebart erinnern, an die Joints und die Pokalsensation. Wie war das Spiel überhaupt ausgegangen?, fragte er sich.
»Wir machen jetzt erst mal eine kurze Pause«, sagte von Plorre und sah Plotek direkt an. »Bleiben Sie dran.«
Leck mich, dachte Plotek und wollte wegzappen, aber erstens fand er die Fernbedienung nicht und zweitens kam ein Werbespot, der seine ganze Aufmerksamkeit auf sich zog.
»Da ist Jo!«, stieß er überrascht und zugleich verwundert aus. Und tatsächlich, Jo Hillebrand tauchte im Fernseher auf. War das nun absolut pietätlos oder aber unbedacht und nachlässig oder nichts von dem. The show must go on. Geldverdienen kann man auch über den Tod hinaus. Und die Moral ist etwas für evangelische Grundschullehrerinnen und katholische Betschwestern, aber nichts für einen in alle Welt exportierenden multi-nationalen Dosensuppenmagnaten. Im Fernseher war nämlich ein Werbeclip für Suppi-extra-plus zu sehen. Mit Jo Hillebrand. Mit dem jetzt toten Jo Hillebrand. Er lächelte in die Kamera. »Mmh, das schmeckt herzhaft«, schwärmte er und löffelte herzhaft Dosensuppe. Lüge!, das schmeckt nicht, zumindest nicht herzhaft, das schmeckt nach gammeligem Fleisch und nach perfider Sabotage. Das wusste Plotek. Allein bei dem Gedanken wurde ihm schon wieder übel. Apropos Sabotage. Plotek schoss ein Gedanke durch den Kopf wie der Ball, der ihn niedergestreckt hatte. Wer könnte etwas dagegen gehabt haben, dass Jo Hillebrand in einem sündteuren Transfer zum Rekordmeister wechselt? Oder, anders gefragt, wer hätte davon profitiert? Der Rekordmeister natürlich, klar, durch vermutlich viele Tore. Arno als Spielervermittler, auch klar. Der Dosensuppenhersteller als Werbepartner. Die SpVg Altona-Nord durch die fette Ablöse und nicht zuletzt Jo Hillebrand selbst, der höchstwahrscheinlich eine steile Karriere hingelegt und ganz sicher ein dickes Salär eingestrichen hätte.
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