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Balla Balla

Balla Balla

Titel: Balla Balla Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sobo Swobodnik
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nicht mehr damit gerechnet hatte. »Hm, tragisch, tragisch.«
    Nach einer langen Pause, in der er dreimal an seinem Joint gezogen hatte, fuhr er schließlich fort. »Er war das eigentliche Talent des deutschen Fußballs. Dagegen sind Jo, Ivo und Benny, mit Verlaub, geltungssüchtige, mittelmäßige Balltreter.«
    Ivo und Jo waren tot, Benny war mit mehrfach gebrochenem Schienbein in der Reha. Und Ritschi? Ritschi saß im Rollstuhl, dachte Plotek. Das hatte er mit eigenen Augen gesehen. Und wenn es da keinen Zusammenhang gibt, dann ist meine pathologische Detailversessenheit auch nur eingebildet. Er legte die Bierdeckel auf dem Tresen akkurat nebeneinander. Nur, was für ein Zusammenhang das war, wusste Plotek nicht. Und er wollte es auch gar nicht wissen. Aber vergiss es. Ob er wollte oder nicht, erfahren sollte er es trotzdem. Aber erst viel später.
    »Da, zieh mal.« Wolle hielt ihm die dicke Zigarette mit der verbotenen Substanz entrückt lächelnd unter die Nase.
    Also zog Plotek eben. Und sofort schienen sich seine Nervenbahnen wieder zurückzulehnen. Sein Blick veränderte sich. Die Gedanken machten Pause, während der autistische Sänger »Don’t let the sun go down ...« grölte.
    »Gut, was?«, fragte Wolle verschmitzt. Plotek nickte und hatte dabei den Eindruck, als würde die ganze Kneipe wie bei einem Erdbeben wackeln. Er spürte eine sich langsam über ihn stülpende Antriebsarmut. Eine Art Teilnahmslosigkeit ergriff Besitz von ihm. Mit jedem Zug verlangsamte sich sein Denken, er wurde schläfrig. Irgendwie schienen ihm alle seine Regungen abhanden gekommen zu sein. Er saß am Tresen und glotzte vor sich hin – geradezu autistisch. Bis er schließlich einen mächtigen Druck auf der Blase verspürte und sich ein verdächtiges Grummeln im Darm bemerkbar machte. Folge: Drohender Kontrollverlust kündigte sich an. Konsequenz: »Das Klo ist da vorne«, sagte Wolle und Plotek folgte dem ausgestreckten Arm. Er hatte das Gefühl, dass sich seine Hirnhaut jetzt wie ein Kaugummi dehnte, während das Hirn selbst zusammenschnurrte. Die Schmerzrezeptoren waren gereizt. Schwindel kam hinzu. Eine Persönlichkeitsveränderung war im Anmarsch. Auf dem Weg zum Klo fing Plotek plötzlich an, auf Zehenspitzen zu gehen, dann auf den Fersen – immer abwechselnd. Entgegenkommende Kneipenbesucher schwebten oder schwammen winkend an ihm vorbei. Sie wandelten sich in Sekundenschnelle wie durch hochtechnologische Computeranimation, etwa von einer schwergewichtigen Frau in ein Herrenklapprad. Von einem Herrenklapprad in einen Drehständer für Ansichtspostkarten. Ein ganzer Tisch in der Ecke bei den Spielautomaten wurde zwischen zwei Augenaufschlägen zu einem Fischteich mit heraushüpfenden rotfleckigen Kois. Und dann zu einem kompletten Universum, in dem sich Plotek sogleich selbst spiegelte. Das bin doch ich, dachte er und sah lachende Fischgesichter, die so aussahen wie er selbst. Oder zumindest so, wie er sich in Erinnerung hatte. »Like a monkey in the zoo ...«, tönte es aus den Boxen, die inzwischen aussahen wie Raubtierkäfige. »Devil town ...«, schrie ein besonders gefährliches Raubtier. Wie auf ein Stichwort hin ging der Fernseher über der Tür an und erteilte die Absolution. »Das Leben ist eine Talkshow«, brüllten die Raubtierkäfige und »die Talkshow der Beichtstuhl der Postmoderne«. Im deutschen Sportfernsehen waren wieder ein Halbkreis und viele Gesichter zu sehen. Rainer von Plorre mittendrin. »Was nicht da ist, das taugt eigentlich auch nicht als Gegner.«
    Stimmt, dachte Plotek, und verschwand aufs Klo.
    Auf dem Klo dann Ratlosigkeit. Plotek stand vor dem Waschbecken und hatte plötzlich vergessen, warum er eigentlich da war. Auf dem Klo, im Zapfhahn , in Hamburg. Auf der Welt. So was gab es. Von jetzt auf nachher alles weg.
    »Was glotzt du denn so?«, fragte ein Mann mit der Physiognomie eines deutschen Schäferhunds und der Konstitution eines Sumo-Ringers. »Is’ was?«
    »Es ist immer irgendwas«, erwiderte Plotek mit einer Stimme, die ihm selbst fremd vorkam, und dachte dabei, ist der jetzt wirklich so dick oder sind’s die Drogen. Bestimmt beides.
    »Verpiss dich!«, sagte der Dicke mit rotem Kopf und Augen wie glühende Kohlen.
    Aber denkste. Dazu war Plotek nicht mehr imstande. Ob es an den grundsätzlichen Zweifeln oder an seiner noch immer anhaltenden Antriebsarmut lag – keine Ahnung. Er starrte auf jeden Fall noch immer ausdruckslos vor sich hin, entdeckte sich im Spiegel und

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